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Christoph Wagner's Weblog
03.11.03 @ 14:48
Warum sind die 100 Besten die 100 Besten?
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„Die 100 besten Restaurants von Wien” — so hieß ein bereits in zwei Auflagen erschienenes und mittlerweile vergriffenes Buch, das nunmehr der dritten Auflage harrt.
Mittlerweile dreht sich das Küchenkarrussell in Wien und Umgebung jedoch so schnell, dass selbst eine Neubearbeitung, sobald sie erscheint, bereits wieder teilweise unaktuell wäre. Ich habe mich daher entschlossen, meine „100 Besten von Wien” in Hinkunft nur mehr auf Internet zu veröffentlichen. Der Vorteil: Gemeinsam mit der www.speising.net-Redaktion kann ich täglich auf Veränderungen reagieren und muss, um Bewertungen und Texte zu aktualisieren, nicht immer auf eine neue Auflage warten.
An den Kriterien meiner Bewertungen hat sich dadurch jedoch nichts geändert. Und da es sich bei meinen „100 Besten”um einen sehr persönlich gehaltenen Restaurantbegleiter handelt, bin ich Ihnen, verehrte Community-Mitglieder, wie ich meine, doch noch etwas mehr schuldig als nur die Erklärung, dass ich mehr auf Qualität als auf Quantität achte und versuche, jedes Restaurant an jener Latte zu messen, die es sich selbst setzt und nicht daran, was für mich gerade „culinarily correct” ist.
Zunächst eine kurze Erklärung, was die vier Sterne bedeuten:
*
ein empfehlenswertes Restaurant mit verlässlicher, niveauvoller Küche
**
ein Restaurant, das etwas Besonderes zu bieten hat, und oft auch noch ein bisschen mehr
***
ein Restaurant, das in seiner Kategorie auf kontinuierlichem Niveau absolute Top-Qualität bietet
****
ein Restaurant, das zu den besten der Welt zählt
Darüber hinaus sind es vor allem folgende zehn Prinzipien, von denen ich mich bei meinen Bewertungen leiten lasse:
1. Ich möchte, wenn ich in und um Wien esse, aufgrund von bestimmten geschmacklichen Merkmalen auch das Gefühl haben, in Österreich zu speisen. Wenn ein Menü genau so, wie es ist, auch in Hamburg, London oder New York vorstellbar wäre, so muss es deshalb zwar keineswegs schlecht sein, es interessiert mich aber nicht besonders.
2. Eine Ausnahme von dieser Regel sind andere Länderküchen. Es kann, so bin ich überzeugt, gar nicht genug ausländische oder längst eingebürgerte Mitbürger geben, die ihre kulinarischen Traditionen auch hierzulande pflegen und der Öffentlichkeit zugänglich machen, die dadurch nur offener und toleranter werden kann.
3. Die sogenannte Fusion-Küche — also die Kombination heimischer und exotischer Aromen — ist für mich solange kein Problem, als sie sich nicht steril und gesichtslos präsentiert (siehe Prinzip 1). Jede Küche der Welt nimmt neue, verfügbare Aromen und Geschmäcker in sich auf und verarbeitet sie auf ihre unverwechselbare Weise. So gesehen ist auch die klassische Wiener Küche schon eine Fusion-Küche gewesen. Gefüllte Paprika mit Paradeissauce und Salzkartoffeln sind beispielsweise kein Wiener Gericht (alle drei Zutaten kamen mit Columbus aus Amerika und wurden erst um 1800 als eßbar erkannt). Dennoch handelt es sich zweifelsfrei um einen Bestandteil der Wiener Küche. Warum sollte man in Wien daher heute nicht auch mit Sojasauce oder Koriandergrün kochen, wenn beides für jedermann verfügbar ist und auf der Grundlage der vorhandenen Kochtraditionen weiter entwickelt werden kann?
4. Ich versuche zwischen dem, was am Teller und dem, was darum herum ist, genau zu unterscheiden. Große, technisch perfekte Küche, komplexe Saucen oder genuine Kreationen können in einem schlichten Beisel ebenso möglich sein wie im Luxusrestaurant, wo es umgekehrt am Teller mitunter auch sehr banal zugehen kann.
5. Für mich ist die menschliche Qualität des Servierpersonals mindestens so wichtig wie seine fachliche. Natürliche, gelebte Gastfreundschaft ist mir lieber als eine Service-Performance aus der Retorte mit humorlosen (wienerisch: schmähstaden) Kellnerdarstellern, die zwar den ganzen Parker auswendig aufsagen können, aber keinen Schmunzler auf ihre Lippen kriegen.
6. Der beste Weinservice ist für mich nicht der mit dem größten Schaukeller, den meisten Etiketten und den teuersten Gläsern, sondern jener, der zu jedem der gereichten Gerichte (zumindest) einen optimal dazu passenden Wein anzubieten weiß und denselben so zu kredenzen vermag, dass er seine Anlagen auch optimal entfalten kann.
7. Ich bin ein Anhänger der altmodischen Ansicht, dass ein gutes Lokal (selbst ein elegantes) immer auch ein verlängertes Wohnzimmer sein soll. Und da ich nicht in einem Bühnenbild wohnen möchte, speise ich auch nicht gerne in einer Kulisse. Bevor das Restaurant zur Bühne wird, gehe ich lieber gleich ins Theater.
8. Ein Feinschmecker ist meiner Meinung nach nicht jemand, der gerne gut isst (denn das sollte eigentlich jeder tun, dem der Herrgott ein Minimum an Geschmackspapillen mitgegeben hat, allein schon aus einer gewissen Achtung vor den Produkten, die er sich einverleibt); ein Feinschmecker ist vielmehr, wer einen offenen, aufgeschlossenen, ja vielleicht sogar abenteuerlustigen Gaumen sein eigen nennt. Eine Küche, die keine Neugierde mehr zu erwecken vermag, entäußert sich daher auch ihrer eigenen Entwicklungsmöglichkeiten.
9. Große Kunst, also auch große Kochkunst, birgt immer auch die Gefahr des Scheiterns in sich. Wo das Scheitern ausgeschlossen ist, bricht (oft auch auf hohem und höchstem Niveau) sterile Allerweltsküche aus. Ein Scheitern verzeihe ich daher viel eher als ein risikoscheues Gar-nicht-erst-Scheitern-Wollen.
10. Der Restaurantkritiker ist ein Mittler zwischen Gast und Gastronom und daher auch beiden gleichermaßen verantwortlich.
Doch nun lasst uns endlich zur Sache kommen und zu Tisch gehen.
Einen guten Appetit dabei wünscht Ihnen
Ihr ergebener
Christoph Wagner
P.S.: Wer Restauranttipps weiterhin nicht nur aus dem Internet beziehen, sondern auch in Buchform konsumieren möchte, den verweise ich auf den von Klaus Egle und mir gemeinsam herausgegebenen Gastronomieführer „Wo isst Österreich?” (erscheint jährlich im Juni bei Pichler/Gourmedia), in dem die besten Wirtshäuser und Restaurants in Österreich, Südtirol, Slowenien, Istrien und (ab 2004) auch Ungarn verzeichnet sind.

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