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Christoph Wagner's Weblog

22.03.04 @ 15:40

Speisewagen Carlo Goldoni

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Ich liebe zwei Dinge: Die Bahn und die Oper. Und weil ich beides so liebe, leide ich wie ein Hund darunter, wenn ich Zeuge davon werde, wie es damit bergab geht. Das war unlängst mit völlig verpatzten „Meistersingern” in der Staatsoper so, aber noch viel schlimmer erging es mir mit Carlo Goldoni. Das ist jener nicht besonders schöne, aber auch nicht wirklich unkomfortable Expresszug, der den Wiener Südbahnhof um 8.57h verlässt und um 16.43 in Venezia St. Lucia einfährt.

Die beste Möglichkeit, den Speisewagen des Carlo Goldoni aufzusuchen, besteht auf der Strecke zwischen Unzmarkt und Treibach-Althofen, die man ziemlich genau um die Mittagszeit passiert und auf welcher potenzielle Diebe immerhin 35 Minuten lang ein Problem damit haben, einem das Gepäck zu stehlen und damit den Zug zu verlassen.

Das ist zugegebenermaßen nicht viel Zeit, aber mehr benötigt man auch nicht, um sich eine fast intime Kenntnis des Speisewagens zu verschaffen, der von der Firma è (ich nehme an, wie Express) gecatert wird.
Zunächst einmal war es mir vergönnt, zwei hübsche junge Damen bei ihrer Arbeit in der Küche zu beobachten. Das heißt: Eine arbeitete, und die andere wartete daneben, bis die eine fertig gearbeitet hatte. Nachdem ich all meine mimischen Künste aufgeboten hatte, um mich bemerkbar zu machen, nahm die wartende Dame von mir Notiz und kam kurze Zeit später — wir hatten Unzmarkt schon eine Weile hinter uns gelassen — auch tatsächlich an meinen Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Das war gar nicht so leicht. Denn von dem knappen Dutzend an Hauptgerichten waren bis auf zwei (Krautfleckerl und Polpetti) alle durchgestrichen. Daneben gab es nur noch ein dreigängiges Tagesmenü, von dem ich mich für den Girardirostbraten entschied.

Außerdem bestellte ich ein Mineralwasser und eine halbe Flasche Pinot Noir vom Weninger (die allerdings in der recht überschaubaren Weinkarte als Blauburgunder angeschrieben war, was mir bis zur Bestellung entfallen war.)

„Sie meinen den Pinot Blanc”, sagte die è-Maid.
„Nein, ich meine den Pinot Noir vom Weninger.”
„Den haben wir nicht. Wir haben nur Pinot blanc.”
„Der ist aber vom Seiler aus Rust, vom Weninger habt ihr nur den Pinot Noir.”
Sie glaubte mir nicht. Also schlug ich die Weinkarte auf und zeigte es ihr.
„Das ist ja ein ganz anderer Wein”, sagte sie.
„Pinot Noir und Blauburgunder ist dasselbe, außerdem ist es der einzige Wein auf der Karte, der vom Weninger stammt.”
A woman convinced against her will is of the same opinion still – dachte ich, und ihr Blick gab mir Recht.

Wenige Minuten später kam sie zwar ohne Mineralwasser, aber immerhin mit dem Pinot Noir, pardon: dem Blauburgunder, zurück und sagte: „Schlechte Nachricht. Girardirostbraten haben wir keinen mehr.”
Somit vor die Wahl zwischen Polpetti und Krautfleckerln gestellt, entschied ich mich für Krautfleckerl.
Was in der Küche eine längere Besprechung zur Folge hatte.

Von dieser kehrte die è-Maid mit einem Lächeln auf den Lippen zurück.
„Wir haben doch noch einen Girardi-Rostbraten gefunden”, sagte sie.
„Fein”, antwortete ich.

Die Suche nach dem Girardi Rostbraten hatte offenbar länger gedauert als seine Zubereitung, denn schon wenige Minuten nach seiner Ankündigung war er da. Von den klassischen Zutaten dieses Gerichts (Rostbratenscheiben, Butterschmalz, Zwiebel, Weißwein, Rindsuppe, Selchspeck, Wiesenchampignons, Frühlingszwiebel, fein gehacktes Wurzelwerk, Petersilie, Kapern, Zitronenschale, Mehl, Sauerrahm) waren offenbar nur die Suppe und der mit Mehl verquirlte Sauerrahm übrig geblieben, bei dem das Mehl allerdings einen klaren Sieg über den Rahm davongetragen hatte. Statt des Rostbratens schwamm darin ein nicht allzu weich gekochtes Rindfleisch, dessen Struktur mich am ehesten an ein Weißes Scherzl erinnerte. Dazu gab es Schupfnudeln, die zwar nicht „geschupft” (sprich: abgeschmalzen), aber immerhin von leidlicher Convenience-Qualität waren.
Die Frage, wie es denn geschmeckt habe, stellte die è-Maid angesichts des übrig gebliebenen Saucenpamps am Teller erst gar nicht.

Ich bestellte die Rechnung und fragte, ob ich auch mit Creditcard bezahlen könne.
„Da muass i oba dann no amoi geh`” sagte die è-Maid.
Ich ließ sie ziehen, gab ihr bei ihrer Rückkehr aber für die durch mich erlittene Unbill zwei Euro Trinkgeld und nahm den Rest meines Pinot Noir ins Abteil mit.
Erstaunlicherweise fuhr der Zug just in diesem Moment in Treibach-Althofen ein.

Sage also niemand, dass man im „Carlo Goldoni” nicht um die Bedeutung des Wortes „Express” wüsste.


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22.03.04 @ 01:41

Mond

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Forscher sagen: Ohne Mond gäbe es kein Leben auf der Erde ( science.orf.at/science/news/108338 ). Die Frage, die sich mir nun stellt: Gäbe es ohne Erde womöglich ein Leben auf dem Mond?

Kurzum: Ich bin wieder aus Triest zurück, in dem es ohne Mond dann wohl auch kein Leben (und vor allem auch nicht die hervorragende Triestiner Küche) gäbe.

Meine vorläufige Schlussfolgerung lautet daher folgerichtig: Es lebe der Mond.


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