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Christoph Wagner's Weblog

18.12.04 @ 02:21

Naturalismus in der Küche

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Helmut A. Gansterer, nicht nur - was mich mit Stolz erfüllt - mein Freund, sondern auch einer der schönen Künste, hat im letzten Profil ein großes Wort gelassen ausgesprochen: „Die nächste neue Kunst wird die älteste der Welt sein: ein krasser Naturalismus.”

Kein Kunstkritiker würde je wagen, dies dermaßen salopp auszudrücken. Doch Gansterer hat Recht. Der neue Naturalismus steht nicht nur bevor, er ist längst unter uns. Mit Bildender Kunst befasse ich mich zwar nur am Rande, aber auch was Theater, Musik, Literatur und vor allem Küche betrifft (durchwegs Bereiche, mit denen ich mich intensiver befasse) ist Gansterer im jeder Hinsicht beizupflichten.

In der Literatur spukt der Neue Naturalismus (damals noch als „Postmoderne” getarnt) schon seit Umberto Eco und Christoph Ransmayr herum. Der Nobelpreis für Elfriede Jelinek ist nur ein längst fälliger, aber doch eher retrospektiver Tribut an die Textflächen-Ästhetik der Wiener Gruppe und ihrer Nachfolge (was keinesfalls bedeutet, dass die Jelinek nicht auch naturalistisch schreiben könnte; in der „Klavierspielerin” war sie geradezu infiziert davon; und die „Klavierspielerin” ist, auch wenn die Autorin das nicht gern hört, für die Jelinek, was die „Dreigroschenoper” für Brecht war.)

Am Theater, zumal in der Oper, hat sich ein anfänglich munterer Dekonstruktivismus (Neuenfels) so lange selbst perpetuiert, bis mittlerweile nur noch (von ein paar erfrischend anarchistischen Ausnahmeerscheinungen wie Peter Konwitschny und Martin Kusej abgesehen) das große Gähnen herrscht; und selbst der wilde Schlingensief tat bei seinem Bayreuther Parsifal nur so, als wolle er das Musiktheater erneut dekonstruieren. In Wahrheit rammelte er die Bühne voll und somit der Vertreter eines neuen - für einen Intellektuellen wie Schlingensief überraschend naiven und mythenverliebten Naturalismus.

Ähnliche Beispiele ließen sich auch bei Peter Stein (der die dekonstruktivistische Phase so gut wie ausließ und in seinem Spätwerk lieber gleich wieder bei seine Lehrer Felsenstein ansetzte), bei Peter Zadek (seine „Nacht des Leguan” war Naturalismus pur) oder Andrea Breth, vor allem in ihrer „Maria Stuart”, finden.

In der Musik hat der Naturalismus (Stichwort: Originalklang) nie zu existieren aufgehört. Und allmählich erkennt man sogar wieder, dass Schreker, Korngold und Schmidt keineswegs irregeleitete Eklektiker, sondern den Zwölftönern durchaus ebenbürtige Vertreter der Moderne waren.

Ideologisch ist der Naturalismus zugegebenermaßen verdächtig geworden, und der Verdacht ist alles andere als grundlos. Den Bildenden Künstlern gilt er mit Recht als beharrende Antithese zur so genannten Ent-Artung. Theaterfreunde erinnern sich an Hauptmanns präfaschistoide Vor-Sonnenuntergangs-Phantasien. Literaten verbinden Naturalismus nicht ganz zu Unrecht mit dem sprachgewaltigen Knut Hamsun, der sich, ähnlich wie Heidegger, ideologisch in der falschen Sackgasse verrannte. Und fortschrittliche Musikfreunde befürchten mit Recht ein Revival des wabernden Streicher-Vibratos, das letzten Ende vor allem der Erbauung von machtbewussten Spießbügern im Sonntagsstaat dient.

Angesichts von soviel ideologischer Befrachtung können im Grunde nur noch die Kochkünstler die Ehre des Naturalismus retten, indem sie ihn beim Wort nehmen. Naturalismus speist sich nämlich, wie der Name schon sagt, aus der Natur. Er ist somit letztlich der Gegenentwurf zur globalisierten Künstlichkeit einer Küche, die ihre Berechtigung heute fast nur aus den dafür erzielten Horror-Preisen ableitet.

Allein: Auch der Neue Küchen-Naturalismus kommt bestimmt. Kultkoch Ferran Adriá schwärmte nicht zufällig in einem Gespräch, das ich mit ihm führen durfte, von den fetten Rändern des Pata negra wesentlich mehr als von seinen espumierenden Infusionen. Heinz Hanner hält die EU-resistente und daher vollaromatische Tomate für den Luxus der Zukunft. Und Hans Haas hüpft in seinem Münchner „Tantris” Tag für Tag vor, wie eine Chichi-befreite, tatsächlich auf den Nenner purer Natürlichkeit gebrachte naturalistische Küche funktionieren könnte.

Was Kunst-, Theater-, Opern-, Literatur und -Musikfreunde davon lernen können ist, dass wir uns allmählich daran gewöhnen müssen, dem Vokabel „Naturalismus” wieder etwas entspannter und gelassener gegenüber zu sehen.

Am besten lassen wir den -ismus einfach wieder weg. Dann wird´s leichter.

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