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Christoph Wagner's Weblog

05.10.05 @ 02:39

Oid werma

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Zwei Begebenheiten haben mich letzte Woche einigermaßen irritiert. Zum einen fragte mich ein durchtrainiert wirkender junger Mann am Bahnhof Mürzzuschlag angesichts eines Koffers voller Bücher (was er nicht wissen konnte) und eines Sackerls voller Würste (was er auch nicht wissen konnte): „Geht´s no, oder soll ich Ihnen des Zeigs die Stiagn obitrogn?”

Natürlich ging es.

Gestern rief mich dann ein sehr geschätzter Kärntner Kollege und meinte: „Darf ich Sie als Doyen der österreichischen Gastrokritik etwas fragen?” - Natürlich durfte er. Und selbstverständlich antwortete ich auch. Nur: Die letzten Doyens, derer ich mich entsinne, sind jene des Burgtheaters: Michael Heltau, trotz relativer Jugend auch schon 72. Und Adrienne Gessner, bei ihrem Ableben 91.

Ich bin 51. Aber natürlich testend, kostend, schmatzend und schlürfend schon seit rund einem Vierteljahrundert im Geschäft. (Nebstbei: Lest euch im Gault-Millau einmal die „Feinschmecker des Jahres” durch: ein Trauerspiel; die besten von ihnen: tot wie in einem Shakespeare-Drama).

Und jetzt auch noch die geliebte, verehrte Pastinake und der nicht minder geschätzte profiler, die mich - nachdem ich mich als unverbesserlicher Romantiker geoutet habe - tatsächlich auch als solche verifiziert haben.

Um Missverständnissen vozubeugen, werde ich versuchen, meine kulinarische Sozialisation in ein paar Worten (bitte um Verzeihung um allfällige Weitschweifigkeiten) zu skizzieren.

„Den Menschen schmeckt”, so der belgische Soziologe Leo Moulin, „was ihre Mutter sie zu essen gelehrt hat.”

Ich habe also nicht zu wenig Kalbsköpfe und zuwenig Beuschel in meiner Kindheit vorgesetzt bekommen, sondern gerade genug davon, um es heute noch zu lieben. Meine wichtigsten kulinarischen Kindheitserinnerungen sind die Forellen meines Großvaters, die Fasane und Hasen, die mein Vater von der Jagd mitbrachte, und das Kalbsbries, die Nieren, die Leber, das Hirn, der Ochsenmaulsalat, die Zungen, das Kalbsherz und all das, was meine Mutter (neben Knödeln, Polsterzipf und allen möglichen warmen Mehlspeisen) so auf den Tisch brachte. Meine erste Pizza aß ich mit 17 in London, mein erstes T-Bone mit 21 in Florenz, meine ersten Kutteln mit 22 in Trastevere, meine erste Gänsestopfleber mit 23 in Trastevere, und meinen ersten Malossol-Caviar zu meinem 25. Geburtstag.

Kulinarisch sozialisiert wurde ich nicht über die Nouvelle Cuisine (die kannte ich nur aus Feinschmecker-Zeitschriften und Kochbüchern), sondern über Tournedos Rossini, Châteaubriand für zwei Personen, Hummer Thermidor und Crêpes Suzette. All das vergaß ich nach einem legendären Essen bei Rudi Kellner, ich glaube, es war 1979. Nichts stimmte mehr, ich musste mich völlig neu orientieren. Neue Saucen, neue Geschmäcker, neue Anrichteweisen - und ich war von Anfang an mit Feuereifer mit dabei.

Seither beschäftigt mich vor allem die Wiederkehr des Ewiggleichen. Gut, man kann einem alten Fresssack wie mir vorwerfen, er habe schon alles gehabt und sei nun ein logisches Opfer des guten alten „ennui” geworden, der gepflegten Langeweile Wilde´scher und Baudelaire´scher Prägung.

Doch genau das stimmt nicht Ich nehme für mich in Anspruch, auch noch nach der 25.304ierten Aromenkombination ein tapferer Streiter für die kreative Küche geblieben zu sein (auch wenn wenn 24.999 Aromen vielleicht besser unkombiniert geblieben wären). Doch ich bitte auch um Verständnis, dass ich mich - ganz, wie es Leo Moulin vorausgesagt hat - irgendwann einmal auf das noch Wesentlichere konzentrierte: nämlich darauf, wie man das, was man aus der Kindheit kennt und liebt, in höchster Qualität zelebriert.

Daher auch meine Fixiertheit auf das ideale Gulasch, das geniale Backhuhn, das beste Wiener Schnitzel, das Non-plus-ultra des Zwiebelrostbratens, die Conditio-sine-qua-non des Schulterscherzls, den idealtypischen Kalbskopf, die feinste Malakofftorte, den ultimativen Kaiserschmarren und die besten Salzburger Nockerln der Welt.

Nicht, dass ich das alles in meiner Kindheit missen musste (ganz im Gegenteil) , macht mich darauf neugierig, sondern, dass ich wissen will, wo sich bei solchen großen Klassikern noch , du seien´s nur minimale Bandbreiten an Qualitätsverbesserungen erzielen lassen. (Das gilt sinngemäß genauso für Coq-au-vin, Bouillabaisse, Peking-Ente, Oysters Rockefeller usw. usf.)

Auf der anderen Seite bilde ich mir ein, mir eine gewisse Offenheit für neue Klassiker bewahrt zu haben - und ich habe auch einige davon gefunden, etwa die Kombination von Gänseleber und Jakobsmuschel, die mit Kalbskopf (ja, schon wieder) gespickte Seezunge, von Meeresfisch und Rotweinschalotten, von Marquise de Chocolat und Banyuls und von Blauschimmelkäse mit Sauternes. (Umgekehrt finde ich die die Idee, Marmeladen, neuerdings Chutneys genannt, zu allerlei Käsen zu servieren und dazu picksüße Eisweine zu servieren, eine absolute Verirrung; ich komme aus einer Welt, in der man zu Käse Rotwein trank und sie mit Butter, Pfeffermühle sowie allenfalls Trauben und Nüssen, vor allem aber Baguettes servierte; viel was Besseres ist bis jetzt auch noch nicht aufgekommen.)

Also gut: Vielleicht werde ich alt. Vielleicht erinnere ich mich zu gerne der Zeiten, als Essen auch noch mit Sündigen und nicht immer nut mit Vernunft zu tun hatte und als man zwar „die Augen mitessen ließ”, aber das Design nicht zum Maß aller Dinge erklärte.

Nach wie vor ist meine ideale Esssituation jedoch ein weiß getünchtes Lokal ohne Bilder mit weiß gedeckten Tischen, auf denen sich, durchaus mit einfachem Besteck und funktionellen Gläsern, die aber keineswegs aus Kristall sein müssen, höchste Kochkunst und Tafelkultur entwickeln. Es gibt aber nicht viele Belege, die ich für dieses Ideal anführen kann.

Ich verabschiede mich mit einer Entschuldigung für die unziemliche Länge dieses Beitrags für eine Woche in den Veneto und nach Friaul - und erbitte ein ganz klein wenig Nachsicht für unseren Apicius, der zwar ein bisschen gar schwadronierend, aber durchaus nicht in böser Absicht unterwegs war. Würde er sich (im Gegensatz zu mir) ein wenig einbremsen (und weniger gebetsmühlenartig seine Feinde verprügeln), er wäre sicherlich weiterhin ein inspirativer gastrosophischer Ezzesgeber.

Außerdem werde ich meiner Überzeugung, dass Gourmandise Gaumenabenteurerei und nicht die Suche nach dem perfekt gegarten Lammnüsschen in der Kräuterkruste ist, auch weiterhin treu bleiben.

Dass Textkisten wie diese auch weiterhin nur eurem Bürgermeister vorbehalten bleiben, wünscht sich und euch

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