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Christoph Wagner's Weblog

01.12.05 @ 01:16

Lob der Monophagie

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Pastinake hat in ihrem letzten Statement des vorigen Threads Recht: Essen ist mindestens so sehr ein sozialer wie ein geschmacklicher Akt. Und spätestens seit Claude Lévi-Strauss in seinen ”Mythologica” den ”Ursprung der Tischsitten” erforscht hat, wissen wir, dass wir es beim Essen auch mit einer Form von codierter Kommunikation zu tun haben. Besteht doch die Quintessenz von Lévi-Strauss´ ”kulinarischer Ethnologie” in der Feststellung, ”dass die Küche einer Gesellschaft eine Sprache ist, in der sie unbewusst ihre Struktur zum Ausdruck bringt, es sei denn, sie verschleiert, nicht minder unbewusst, ihre Widersprüche.”

Es handelt sich also beim Kochen bzw. Essen um ein typisches Sender-Empfänger-Verhalten, das den ganzen Bereich semantischer Konnotationen mit einschließt. Um einen ”linguistischen Akt” also, der es sich als besondere Pikanterie zuschreiben darf, daß ”lingua” auf lateinisch nicht nur ”Sprache”, sondern auch ”Zunge” bedeutet. Der Akt des Schmeckens und jener des Redens sind also gewissermaßen parallel geschaltet, was die Theorie vom Essen als klassischem Kommunikationsverhalten nur weiter untermauert.

Nun gibt es aber eine Form des Essens, die sich kaum unter den Begriff Kommunikation, wie er gemeinhin, d.h. oberflächlich, verwendet wird, subsumieren läßt. Nein, ich rede nicht von jenen immer häufiger in den Restaurants anzutreffenden Paaren, die schweigend in sich hineinmampfen, ohne auch nur ein Wort miteinander zu reden. Diesen Typus würde ich eher mit Levy-Strauss´”Verschleierung der Widersprüche” durch gemeinsames Essen zu erklären versuchen.

Nicht das kommunikationsgestörte Verhalten beim Essen ist also mein Thema, sondern die gemeinhin als nichtkommunikativ begriffene Eßsituation schlechthin - die Monophagie. Fast jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, findet es irritierend, manchmal sogar demütigend, alleine essen zu müssen. Man behält es gewöhnlich Situationen vor, in denen man - etwa auf Geschäftsreisen - „nicht anders kann” und zieht selbst in diesem Fall die schnelle Sättigung in einem Fast-Food-Lokal vor. Besonders Frauen fühlen sich beim Alleineessen im Restaurant diskriminiert, und das durchaus mit Recht: Meist gibt man ihnen nicht nur (wie allerdings recht häufig auch monophagen Männern), den schlechtest möglichen Katzentisch, sondern man behandelt sie - je nach individuellem Aussehen - so, als ob sie entweder „übriggeblieben” oder gerade „auf Aufriss” wären.

Alleine zu essen wird in unserer Gesellschaft üblicherweise mit alleine essen zu müssen gleichgesetzt. Die allgemeine Übereinkunft besteht darin, dass man gemeinsam isst, sei´s mit Partner oder Geschäftspartner, in Freundes- oder Kollegenrunde, mit der oder dem heimlichen Geliebten, mit dem Vorgesetzten oder mit den Schwiegereltern. Wer hingegen alleine isst, der muss - nach der nämlichen Übereinkunft - Probleme haben. Entweder ist sein Partner oder seine Partnerin verstorben oder davongelaufen, vielleicht hat er auch (aufgrund irgendwelcher, vielleicht nicht sofort erkennbarer) psychischer oder physischer Defekte keinen gefunden. Er oder sie hat in keinem Fall Freunde (müssten sie sonst alleine speisen?) und auch wenig Sozialprestige (man könnte ja sonst einen Untergebenen zum MItessen veranlassen). Der Monophage ist also in jedem Fall eine problematische Persönlichkeit, möglicherweise ein Trinker (immerhin lautet das allgemeine Vorurteil, dass , wer allein trinkt, auch ein Alkoholiker ist, und welcher Monophage verbrächte sein Essen schon, ohne dazu etwas zu trinken?) und eventuell auch noch verhaltensgestört.

Ganz sicher jedoch ist der Monophage jemand, der einen Tisch, den man sonst mit entsprechendem Umsatz an mindestens zwei, vielleicht sogar drei oder vier Gäste vergeben könnte, alleine belegt - und daher nicht in erster Linie Geld bringt, sondern welches kostet. Fazit: Der Monophage ist auf fast allen gastronomischen Stufen (außer vielleicht im ganz einfachen Beisl und im Kaffeehaus) eine ungeliebte, ja eine Unperson.

Auch und gerade das Essen ohne kommunikativen Charakter offenbart daher ebenfalls Kommunikation, wobei die semantische Konnotation der Botschaft zwischen Sender (Wirt) und Empfänger (Einzelgast) blanke Verachtung ist. Und gerade das ist besonders ungerecht.
Der Monophage ist nämlich unter allen Genießern vielleicht der perfekteste. Während Menschen, die zu zweit oder mehrt ausgehen, das Essen nämlich nur zum Anlass für davon unabhängige Kommunikationsvorgänge nehmen, kommuniziert der Monophage mit dem Essen bzw. seinem Hersteller selbst. Er ist also ein schlechthin idealer Rezipient, durchaus vergleichbar jenem Theater- oder Galeriebesucher, der still und oft mehrere Stunden lang vor einer Bühne oder einem Bild verharrt, um auf dem Weg über die Ästhetik Kommunikation zuzulassen. Niemandem würde es einfallen, jemanden deshalb einen schlechten Theaterbesucher zu schimpfen, weil er sich während der Vorstellung nicht mit seinem Nachbarn unterhält - tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall.

Lediglich bei der Rezeption des Essens verhalten wir uns despektierlich gegenüber jenem, der bereit ist, dem eigentlichen Objekt des Kommunikationsvorganges die höchste mögliche Aufmerksamkeit zu widmen. Paradoxerweise schenken wir dem Gast, der geschwind seinen Bissen zwischen zwei Bemerkungen über das Wetter, die Politik oder das leidige Putzfrauenproblem zerkaut, mehr Wertschätzung als jenem, der bereit ist, sich ein paar Stunden ausschließlich darauf zu konzentrieren, weswegen er gekommen ist: auf das Essen und das Trinken.

Statt dem Einzelgast verächtlich den schlechtesten Platz anzuweisen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was mit ihm nicht stimmen mag, täte ein kluger Gastronom besser daran, im Monophagen den Mittelpunkt seiner gastronomischen Anstrengungen zu sehen. Denn nur der Monophage ist fähig und willens, dem Koch zu schenken, was ihm eigentlich gebührt: die ungeteilte Aufmerksamkeit - und somit die Voraussetzung jeder funktionierenden Kommunikation.

P.S.: Entschuldigung für die unziemliche Länge (Bitte, Piccolo, nicht beflügeln lassen!) Dieser Text wurde nicht für Speising geschrieben, sondern entstammt einem Buch, das noch ein „Work in progress” ist und erst später erscheinen wird. Er passte nur so gut auf pastinake.

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