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Das Weinlog
06.06.04 @ 02:24
Weinpatriotismus
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Zwischen den Zeilen dieses neuen Weblogs scheint mir immer häufiger eine Frage aufzutauchen, die sich so keiner zu stellen getraut. Sie lautet: Ist es eine vaterländische Pflicht, heimische Weine zu trinken?
Meine Antwort darauf lautet zunächst einmal: aus ganzem Herzen nein.
Die — moralische — Verpflichtung österreichische Weine zu trinken würde bedeuten, dass es auch eine Verpflichtung gibt, nur österreichische Literatur zu lesen, österreichische Musik zu hören oder österreichische Marmeladen zu essen. (Ich sage bewusst Marmeladen, weil ich als gelernter Anglist die englische "marmelade", sprich: die Orangenkonfitüre, über alles stelle und in Österreich, den nicht nur diesbezüglich hoch geschätzten Obauers zum Trotz, noch kein zufriedenstellendes heimisches Äquivalent gefunden habe.)
Probieren wir es also anders: Vielleicht gibt es eine moralische Verpflichtung, heimische Produkte und daher auch Weine dann grundsätzlich den ausländischen vorzuziehen, wenn die heimischen Produkte die bessere oder zumindest die gleiche Qualität haben.
Will heißen: Riesling ja, denn da sind wir (obwohl die gestrige Riesling-Vergleichsverkostung bei der Vievinum leider das gegenteilige Ergebnis erbrachte) unschlagbar. Veltliner ja, denn den gibt´s sowieso (fast) nur bei uns, ebenso wie den Zweigelt, den Blaufränkisch und den St. Laurent. Die großen Burgunder bringen wir indessen nicht (ganz) auf die Füße, ebensowenig wie die ganz großen Cabernet-Merlot-Cuvées, weswegen wir, ohne uns Vaterlandsverräter schimpfen lassen zu müssen, da und dort auf Bourgogne und Bordeaux ausweichen dürfen.
Allein: Auch diesen Ansatz muss ich leider, kulturwissenschaftlich gesprochen, verneinen. Denn, verglichen mit Literatur und Musik, würde das bedeuten: kein Bach, denn wir haben ja Mozart. Kein Proust, denn wir haben ja Musil. Kein Philip Glass, denn wir haben ja Cerha. Keine Simone de Beauvoir, denn wir haben ja die Jelinek. Und statt Shakespeare haben wir halt nur Grillparzer, statt Prokofiev Gottfried von Einem, und statt Dostojewski Heimito von Doderer, allenfalls.
Was bei Literatur und Musik relativ einsichtig ist, verliert beim Essen und Trinken jedoch schnell seine Gültigkeit. Da werden Blutwurst und Bodenseefische sehr schnell zu Synonymen für eine (ewig)gestrige Ideologie.
Nun mache ich selbst seit einem Vierteljahrhundert nichts anderes, als unseren heimischen Produzenten Mut, die internationalen Herausforderungen anzunehmen. Doch um das zu tun, muss man diese Herausforderungen zunächst einmal kennen. Und ein übersteigertes Selbstbewusstsein, was heimische Produkte (Weine, Schnäpse, Speck, Käse etc.) betrifft, zeugt zunächst einmal von (berechtigten?) Minderwertigkeitskomplexen und sonst von gar nichts.
Diese Minderwertigkeitskomplexe gilt es abzubauen, und das tut man paradoxer Weise am besten, indem man das Andere, das Fremde erst einmal richtig schätzen lernt. Erst wenn wir einen Cremant Cremant und einen Pinot Pinot sein lassen können, ohne gleich dazu zu sagen, dass wir das "eh auch können", kann von Minderwertigkeitskomplexen keine Rede mehr sein. Und dann erst werden wir nicht nur das Fremde, sondern auch das Eigene richtig zu schätzen wissen.
P.S.: Das Ergebnis des so genannten Riesling-Ländermatchs auf der vievinum halte ich dennoch für einen verhängnisvollen Irrtum. Allerdings aus ganz und gar unpatriotischen Gründen. Oder etwa nicht...? Oder doch? ...
-chw

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