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Das Weinlog
26.10.04 @ 02:14
Jede Flasche ist ein kleiner Tod
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Man könnte meinen, sie sei das ja wirklich. Doch mein Hausarzt hat mir erklärt: Es gibt keine gesunde Zigarette, aber es gibt das gesunde Glas Wein.
In der Vergrößerungsform bedeutet das: Es gibt keine gesunde Zigarre, aber es gibt die gesunde Flasche Wein.
Dennoch ist jede Flasche ein kleiner Tod. Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil sie ein Abschied ist, der, wie die Franzosen sagen, mit nichts anderem als dem Sterben vergleichbar ist. Vielleicht kommen die besten Weine ja auch gerade deswegen aus Frankreich, weil man das dort so sieht.
Der Abschied von einer Flasche Wein fällt mir schwer. Nicht so sehr, weil sie leer ist (es liegen ja noch genügend volle in meinem Keller herum), sondern weil sie eine Persönlichkeit ist, die mir soeben entglitt.
Die nächste Flasche wird mir, und trage sie auch dasselbe Etikett, anders begegnen. Sie wird, und tränke ich sie gleich morgen früh, eine andere Geschichte haben, eine andere Luft, einen anderen Winkel, in dem sie eingeschenkt wird, ein anderes Licht, das auf sie fällt, und, vor allem, einen anderen Trinker. Denn auch ich werde morgen nicht mehr derselbe sein wie heute.
Der Abschied von einer Flasche, vor allem von einer guten, ist daher stets ein tragischer Moment. Er trennt, was, und sei es nur für kurze Zeit, zusammen gehört hat. Er lässt versiegen, was sich an Säften ausgetauscht hat. Und er lässt einen entseelten gläsernen Körper zurück, und eine Witwe oder einen Witwer, die um dessen entschwundene Seele trauern.
Ich kenne viele Weinfreunde, die die von ihnen geleerten Flaschen in einer Galerie, zuweilen auch in einer Art von Heldengrabmal, aufstellen. Mich erinnert das stets an das Maximiliansgrab in der Innsbrucker Hofkirche, wo all die heroischen Grabwächter nicht darüber hinweg zu täuschen vermögen, dass das Grab leer ist.
In manchen Restaurants, etwa im Linzer "Vogelkäfig" wird dieses Flaschen-Memento-mori dadurch zelebriert, dass sich besonders verdiente Flaschen, etwa große Burgunder oder Bordeaux, wenn sie erst einmal ausgetrunken sind, als Toilettenwächter wieder finden. Das hat einen tiefen Sinn: "Bedenke, Flasche, dass du geleert bist. Bedenke Mensch, dass du dereinst deine letzte Flasche getrunken haben wirst." Jesus sprach davon, dass alles, was in den Mund hinein geht, im Abort enden würde. Aristoteles war vornehmer und nannte das Katharsis.
Die Art, wie sich der Trinker von seiner Flasche verabschiedet, lässt zweifellos auf seinen Charakter schließen: Da gibt es jene, ich würde sie die Vernünftigen nennen, die sich die Flasche dekantieren lassen und sich damit abfinden, dass der letzte Rest, die Reliquien, den Geiern zum Fraße wird. Die Geier sind in diesem Fall meist die Sommeliers und deren Gehilfen, die sich gierig über die letzten "Hanseln" stürzen und erhoffen, in dem, was sie mit Recht Depot nennen, noch einen Hauch von Seele zu erkennen.
Ich würde meinen, dass, wer eine Flasche einem solchen Schicksal überlässt, dieselbe nicht wirklich geliebt haben kann. Ihm fehlt die Passion, die Leidenschaft bis zum Tod, die Bereitschaft, die letzten Reste der Seele des Weines noch in seinem Todeskampf auszuwinden.
Herzlos, ja herzlos würde ich einen Menschen, der sich von der großen Seele eines großen Weines trennt, ohne sie bis zur letzten Sekunde zu beklagen wie Rudolfo seine Mimi oder Rigoletto seine Tochter Gilda.
Sie werden jetzt vielleicht einwenden, dass es genügend Flaschen gibt, die man — mit vollem Recht — gar nicht erst austrinkt, halbvoll irgendwo stehen lässt, in den Gulli schüttet oder in mehr oder weniger gelungenen Saucen reanimiert. Doch das sind einfach Flaschen, und keine Wesen, die einem etwas bedeutet haben, ja die man vielleicht sogar einmal unsterblich geliebt hat.
Ein Wesen, das man einmal geliebt hat, wirft man nicht achtlos in den Altglascontainer. Man stopft es aber auch nicht aus oder setzt es, wie weiland Anthony Perkins seine gute Frau Mutter, in den Schaukelstuhl der Ewigkeit.
Können Sie mir, nachdem Sie diesen leidenschaftlichen Epitaph gelesen haben, jetzt sagen, was ich mit der Flasche 85er La Tâche, deren letzten Tropfen ich soeben ausgewunden habe, tun soll? Sie zwischen den Bänden meiner Thomas-von-Aquin-Ausgabe ehrenvoll unterbringen? Oder ihr einen Ehrenplatz neben meinem alten Freistädter Bierkrug aus den 50er Jahren gewähren?
Oder doch der Altglas-Cont...?
Das Leben kann, wenn es um die letzten Dinge geht, manchmal verdammt hart sein.

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