Home | Blogs | Das Weinlog | 09.02.05

Das Weinlog

09.02.05 @ 20:48

Tour de France 1995 und ein Lügenbold

Kommentar abgeben

ausblendenSie müssen eingeloggt sein um diese Option zu nutzen. Falls Sie noch nicht Mitglied von SPEISING.NET sind, können Sie sich hier registrieren.

nein, um's Radfahren auf der Tour der Leiden ging es nicht, aber eine Tour de France war es schon, die wir aus gegebenem Anlass am vergangenen Freitag durchführten. Und dass unsere Tour wesentlich weniger anstrengend war als das Original, hat auch niemanden gestört.

Prolog: Paris – Turckheim (442km)
Start in Paris (wo sonst?) und dann gleich ins Elsass zu:

Domaine Zind Humbrecht - Riesling Brand VT 1995
Überraschend hochfärbig, feines Petrol, etws Rauch, exotisch, komplex, tief, zarte Trockenblumen. Die deutliche Restsüße wird durch präsente und lebendige Säure toll balanciert. Etwas Zitrusaromen, vibrierend, außerordentlich dicht, guter Fluss, super Zug, klingt lang und exotisch aus, beeindruckende Balance.

1ère étape: Turckheim – Pauillac (880km)
Auf der ersten Etappe haben wir uns zwei Sprintwertungen vorgenommen, die - erfrischt wie wir waren - souverän bewältigt wurden:

Château Lafite 1995
Jugendliche Frucht, zunächst etwas laut und zwetschgig, konzentriert, dann Brombeeren, darunter auch Rauch, ziemlich jung aber doch klarer Cabernet. Am Gaumen wieder sehr jung, vergleichsweise ungestüm, kräftiges, kerniges, vielleicht etwas sprödes Tannin, doch auch gute Balance, im Finish zedrig und doch auch etwas bitter. In Summe guter Kern aber doch etwas spröde. Guter Claret.

Château Latour 1995
Ätherisch, etwas animalisch, attraktiv, auch dunkle Frucht, recht beeindruckende Tiefe. Sehr viel (aber feines) Tannin, jung, gutes Volumen, Süße, "Ausdruck", Zug, elegant, sehr gute Länge, weder die Üppigkeit noch die Fruchtsüße anderer Jahrgänge, aber doch klassisch und eindrucksvoll.

2éme étape: Pauillac – Nuits-Saint-Georges (636km)
Zwei Bergwertungen der ersten Kategorie. Auch hier keinerlei Schwächen der gut trainierten Teilnehmer erkennbar:

Comte de Vogüé - Musigny 1995
Nach dem Einschenken fast verhalten, geht mit Luft zunächst nur ein wenig auf, dann jedoch rotbeerig, animalisch, etwas würzig, ätherisch. Ziemlich präsent und drängend aber doch attraktiv. Am Gaumen eine Tanninattacke, konzentriert, markante Säure, vielleicht etwas monolithisch-abweisend, recht streng, doch ziemlich guter Kern, darunter viel Saft, lang, wirklich „impressive” aber zu jung. (Der Wein hat gegenüber der Verkostung nach der „Arrivage” in einer kaum zu glaubenden Weise an Dichte und Volumen zugelegt.)

Domaine Armand Rousseau - Chambertin 1995
Ganz anders: zuerst medizinales Stinkerl, Liebstöckl, darunter ein Hauch Minze, bekommt Süße, verführerisch, ja fast lasziv, und doch schon etwas Reife. Kräftige Säure, vielleicht etwas Ascorbinsäureton (mag ich eigentlich nicht, wird im Glas aber weniger), frischer und frecher als in der Nase und noch jugendliche Strenge, aber doch auch gute helltönige Frucht, Süße, Zukunft, Zug. Weiter so!

3éme étape: Nuits-Saint-Georges – Châteauneuf-du-Pape (380km)
Sofort ging’s weiter : Nach Lyon und dann durchs Rhonetal in den Süden :

Domaine de Beaucastel - Hommage à Jacques Perrin 1995
Ätherisch, tief !, betörend, gewaltig, massiv, nur ganz zart gekocht, eine Mischung aus Bitterschokolade und Pferdestall. Extrem dichtes, extrem feines schokoladiges Tannin, leicht gekocht. Jung, Fülle, Süße. Kaum zu glauben, dass eine geradezu monströse Massivität derart elegant verpackt sein kann. Extreme Länge. Warten!

Château Rayas 1995
Animalisch, betörend, konzentriert, zart fischig, klar und doch überreif, Blutorangen, tief, super!!
Massiv und doch feingliedrig, zart gekocht und doch frisch und lebendig, unglaublich üppiges (!) Tannin, toller Bogen, unglaublich.

Châteauneuf-du-Pape - Unterloiben (1326km)
Dann ein Rasttag und zur Jause ein kleiner Umweg

Weingut Knoll - Grüner Veltliner Vinotheksfüllung 1990 Magnum
Gut aber nicht allzusehr gereifter Veltliner, sehr gute Konzentration und überraschend dezent. Wunderbar zur Gaumenspülung und perfekt zur kalten Jause.

Finale: Unterloiben – Vouvray (1419km)
Frisch gestärkt ging’s mit neuer Kraft über einen Berg „hors catégorie” ins Finale.

Domaine Huèt - Vouvray Cuvée Constance 1995
Hochfärbig, etwas Gelatine, Quitten, etwas Boytritis, Rauch, klar, fein, dicht. Kräftige Säure, guter Kern, klare präzise Frucht, perfekter Chenin blanc, massive Süße aber beeindruckend balanciert. Für die nächsten 50 Jahre. (sagt man)

Ausklang: Vouvray – Sauternes (398km)
Unersättlich, wie wir gerade waren, gab’s noch einen Nachschlag außer Programm. Einen Wein, der infolge seiner hochtechnischen Machart – der erste durch Cryoextraktion produzierte Yquem und der allgemein inferioren Beschreibung durch die Weinkritik höchst übel beleumundet und geradezu das Gegenteil eines ehrlichen Weins ist. Ein wahrer Lügenbold also.

Château d'Yquem 1987
Zart Lack, feines Holz, Karamel. Gute Balance, feine Süße, etwas gereift, nicht wirklich massiv und könnte auch etwas fokussierter sein. Aber fein und mit Zug, sehr angenehm. (Wie auch die früheren Flaschen)

Somit unterließen wir Diskussionen über Pinot-, Cabernet- oder Grenache-Männer und -Frauen und erfreuten uns an Vielfalt auf höchstem Niveau. Wir dachten auch nicht über Ehrlichkeit oder Verlogenheit von Weinen nach, und ob Merlot besser oder schlechter ist als Mourvèdre. Genausowenig haben wir die Anzahl Rebsorten gezählt, die ihren Beitrag zu diesem sinnlichen Konzert geleistet haben. Was solls?
Ein anregender und faszinierender, genussvoller und einfach wundervoller Abend.

3 Kommentare | Kommentar abgeben

Neue Kommentare

--- 04.09.18 @ 20:56
Über eine Monokultur aus Klonen künstlich geschaffener Lebewesen – über den Weinbau / PICCOLO: Aus einem alten "Spiegel" Artikel 30.10.1978 - Deutsche Winzer ziehen der Biene wegen den Zorn des Waldgängers Wellenstein auf... [mehr]

--- 04.11.17 @ 09:30
Über würdige, reife Weine / schischi: Mein persönliches Highlight - Uns hatte einmal ein Winzer, das muss so um 2010 gewesen sein, einen Weißwein... [mehr]

--- 09.10.17 @ 20:27
Was Chemtrail-Glaube und Biodynamischer Weinbau eint / OberkllnerPatzig: Feuer - Was man womöglich noch hinzufügen kann ist, dass manche Winzer, die sich rühmen,... [mehr]

--- 18.04.17 @ 12:49
Rauf die Preise! / PICCOLO: Schnell kommt man ans Bildermalen... - Doch schwer an Leute die es bezahlen. So salopp sagen, die Preise sollen rauf,... [mehr]

--- 13.10.16 @ 13:42
Rauf die Preise! / Meidlinger12: Beisl - z.b. das Quell kann noch immer das große Gulasch um 6,90 anbieten. Muß aber... [mehr]

Blogs Archiv

Peter Gnaiger's Sternen-Logbuch --- 04.08.07 @ 20:16
Tischgespräche --- 11.05.07 @ 11:48
Das Gastlog --- 04.09.06 @ 16:45
Das Weinlog --- 14.09. @ 17:01
Christoph Wagner's Weblog --- 04.02.06 @ 13:33

SPEISING Suche
suchen!
Gesamtkarte
Lokal finden
suchen!
?ber uns | Sales | Kontakt | Impressum | Presse | Partner
JPETo™ Content Management System
design by
DMC

Diese Website verwendet Cookies, um die angebotenen Services zu verbessern. Die weitere Nutzung der Website wird als Zustimmung zur Verwendung von Cookies betrachtet. Einverstanden | Mehr erfahren