Christoph Wagner's Weblog

07.12.03 @ 17:22

Nichts gegen Wok

Nur zwei Stunden Aufenthalt in München vor der Weiterfahrt mit dem Schlafwagen nach Paris. Was tut man? — Man geht die fünf Minuten bis zum Stachus, biegt in die Kaufinger Straße ein und steht schon nach wenigen Schritten vor dem Augustiner Bräu. Allfällige Hoffnungen, zu zweit einen Tisch zu bekommen, begräbt man am besten gleich lieber. Dafür bestellt man wilde Gerichte wie Surstelze mit Sauerkraut und Erdäpfelpüree oder einen Fleischtopf mit Kronfleisch, Wellfleisch, Kalbsherz und etlichem Gekröse mehr. (Lachen Sie nicht schon wieder über meine kulinarische Furchtlosigkeit, es war ausgezeichnet.) Außerdem hatten meine Frau und ich während des Essen das Vergnügen, die Bekanntschaft eines Herrn zu machen, der am Riesentisch neben uns Platz nahm und sich trotz eines makellosen bayrischen Akzents als Österreicher zu erkennen gab.
„Jo mei”, sagte er, „mei, gfrei i mi jetzt auf an Schweinsbrotn. Sie miassn nämmli wissen: I steh den gaunzen Tog auf derer Küchenmesse, die wos sie do jetzt grod haum in München – und koche aus dem Wok. Acht Stunden Wok, des miassen´S Ihna amoi vorstelln. I moan, I woaß scho, wia ma aus diesem Wok kocht, oba es is hoit so überhaupt net meins. Oba die Leit woins. Und waunst daun so stehst und immer nua ausn Wok kochst, do denkst da daun irgendwaun: Jetzt brauch i einfach an Schweinsbrotn. Und do bin i jetzt.”
Ob er denn in München lebe, frage ich freundlich.
„Na, aus Braunau bin i, aber leben tu ich in Burghausen. Kennen Sie Burghausen?”
Mir fällt ein altes Gemälde über dem Bett meiner Tante ein, das mir als Kind sehr gefallen hatte, weil es mit einer wahrhaft seltsamen Inschrift ausgestattet war.
Die Inschrift war so schräg, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe. Ich rezitierte also: „Zwischen Ach und Weh, Kümmernis und Klausen liegt die alte Stadt Burghausen.”
„Dös derf doch net wohr sei”, sagte mein Gegenüber. „So guat kennen´S Ihnen aus in Burghausen?”
„Ich war noch nie dort.”
„Aber Sie wissen, dass die vier Nachbarstädte von Burghausen Ach, Weh, Kümmernis und Klausen sind?”
Wusste ich nicht, hatte aber was gelernt. Ich erzählte ihm die Geschichte von meiner Tante.
Der Schweinsbraten kam und war so prächtig, dass die Kruste krachte. Nur der Semmelknödel wollte meinem Nachbarn so gar nicht gefallen.
„Der Knödel ist alt”, konstatierte er.
„Ja, sieht grau aus”, gab ich ihm recht, „als wenn er schon ein paar Tage in der Bain-Marie vergessen worden wäre.”
Mein Nachbar hörte zu essen auf und schaute mir tief in die Augen. „Jetzt kennt der net nur Burghausen, sondern waaß a no, wos a Bain-Marie is. I hoit´s net aus. Wos ma in dem Augustinerbräu für interessante Leit trifft.”

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