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Christoph Wagner's Weblog

08.12.03 @ 11:38

Man gönnt sich ja sonst nichts

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Unter diesem Motto reservierten wir einen Tisch im Lucas Carton, wohl wissend, dass wir denselben nicht unter einer Zeche von 600 Euro verlassen würden, und das bei kleinen, eher unbedeutenden Weinen. Aber mein Freund Rudi Kellner hält Alain Senderens (er lässt sich nicht davon abbringen, ihn jovial Sendersen zu nennen) für einen der wahrhaft Großen seiner Zunft, und er hat seinen „Hasen Royale”, als er noch der Altwienerhof-Chef war, ganz formidabel adaptiert. Ich war noch nie bei Senderens, er ist einer der letzten „Dreisterner”, die mir in meinem kulinarischen Paris-Badeker fehlen, also nichts wie hin.

Das Restaurant ist einmalig. Stammt aus derselben Epoche, ist aber fast noch schöner als das „Schwarze Kameel” in Wien, und das will was bedeuten. Der Service ist wahrlich gut bestückt. Manchmal hat man den Eindruck, es gäbe pro Gast einen Kellner. Dieser Eindruck täuscht zwar, führt aber in weiterer Folge dazu, dass man bei soviel Dienstbeflissenheit so schnell bedient wird, dass man das Restaurant, das man um acht betreten hat, schon um halb elf wieder verlässt und kaum dazu kam, die zwei bestellten Bouteillen, einen schönen Santenay 97 und einen sehr sauberen Chambolle Musigny 2000 von Charlopin, wirklich zu Ende zu trinken.
Aber wie dem auch sei: Der Sommelier hat es gut mit uns gemeint und uns zwei exzellente Preis/Leistungsweine empfohlen, soweit man davon bei 240 € für zwei Bouteillen, ohne leicht zu erröten, überhaupt sprechen kann.

Am besten erwischte es meine Frau, denn die bekam eine Damenkarte und brauchte sich um die Preise daher nicht kümmern. Sie mag das zwar nicht, weil sie sich dabei immer wie eine Kurtisane behandelt vorkommt, aber ein Kavalier bleibt eben ein Kavalier. (Auch wenn ich der Begleiterin meines grauen Alltags beim Bestellen dann doch nahe legte, die bereits ins Auge gefasste Polenta mit weißen Trüffeln um 150 € lieber doch durch Coquille St.Jacques zu ersetzen, die nur ein Drittel davon kosteten.)

Ich selbst zögerte freilich nicht, mir einen Hummer in Vanillesauce um 108 € zu bestellen, der vielleicht nicht jeden Euro davon wert war, aber dank der ungezählten schwarzen Vanillepunkte in der Sauce und der ausgezeichneten Hummerqualität zumindest jeden zweiten. Kurzum: der Hummer war ziemlich okay. Ebenso wie die Jakobsmuscheln in einem recht würzigen Fischfond, der meiner Frau zu intensiv war, mir, der ich „leicht stinkerte” Saucen mag, allerdings gerade recht. Auch das Seespinnenragout auf Avocados und der Jakobsmuschel-Raviolo als „Amuse gueules” waren zwei echte Köstlichkeiten, auch wenn sie keineswegs „complimentary”, sondern bis auf den letzten Cent mitkalkuliert waren.

Das wahre Problem an der Sache war allerdings die so genannte Apicius-Ente, die im Ganzen serviert wurde und in jeder Weise ein Fake war. Zunächst einmal wäre Apicius, hätte er Kaiser Nero ein solches Federvieh serviert, vermutlich augenblicklich als lebendige Fackel bei Tisch flambiert worden. Die Ente war zäh, die Haut genauso labbrig wie bei Paul Bocuse (s. dazu mein Eintrag vom 16.11.03; sollten die Franzosen das Entenbraten wirklich verlernt haben?), und die kaugummiartige Haut wurde dadurch wett gemacht, dass ein paar Karamelstangerln darauf klebten, die zwar tatsächlich knusprig, aber auch ausgesprochen zahnarztfreundlich waren.

Abgesehen von Kleinigkeiten wie jener, dass Apicius keine Niedertemperaturgarung kannte, habe ich Monsieur Senderens auch unter dem dringenden Verdacht, dass er allen Gästen dieselbe glasierte Schau-Ente präsentieren lässt, die gar nicht übel (und ziemlich knusprig) aussieht. Zehn Minuten später kommen dann indessen phantasielos herunter gebrutzelte Klumpen von der Entenbrust und einer völlig erkalteten Keule auf den bläulichen Designer-Glasteller, die mit Apicius soviel zu tun haben wie Julius Caesar mit einer Vakuumiermaschine.

Ein paar nette Beilagen erinnern eher an marokkanische als an altrömische Küche. Dass der Sommelier dazu unbedingt seine sßen Banyuls verhökern will, zeugt (der Mann ist ja, wie wir wissen, kompetent), eher von nötiger Lagerbereinigung als von wirklicher „marriage”, wie die Franzosen zu sagen pflegen.
Die beiden Franzosen am Nebentisch, die das viergängige Menü mit Weinbegleitung um 500 € bestellt hatten, sagten allerdings einfach: „trop cher”, und wir konnten uns ihnen angesichts zweier sehr feiner, aber auch nicht wirklich exzeptioneller Desserts um je 30 (!) Euro nur anschließen. Mit einer Zeche von 629 Euro sind wir dann (mit dünnem Kaffee, aber ohne Digestif) noch einmal glimpflich davon gekommen.
Gebranntes Kind, das ich bin, fürchtete ich zunächst, die Rechnung könnte noch wesentlich höher ausfallen. Aber der verständnisvolle Sommelier, dem wir offensichtlich sympathisch waren, hat uns gerettet. Zwei andere Weine, und die 800 Euro-Grenze wäre leicht, um nicht zu sagen, spielerisch, überschritten gewesen.

Wie man in Paris um weit weniger Geld auch gut (oder womöglich noch besser) speist, davon demnächst.

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08.12.03 @ 02:46

ad ra'an (hypercube)

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Hypercube spricht mir aus der Seele. Es ist in den letzten Jahren praktisch unmöglich geworden, eine Rechnung „just for oneself" zu bekommen. Mich hat das schon eine Stange Geld gekostet. Früher habe ich einfach mein Teil bezahlt und vielleicht auch noch ein Fläschchen Wein und das Trinkgeld übernommen. Heute fragen manche meiner Freunde scheinheilig: „Du kannst das doch sicher verrechnen, oder...?" - Das „oder" lasse ich aus Höflichkeit gar nicht erst aufkommen und zahle brav, auch wenn ich es nicht verrechnen kann. Schließlich will man ja nicht als schofel dastehen. Und das Herumschieben von Hundert-Euro-Scheinen macht sich auf Damasttischtüchern auch nicht gerade nobel.
Was ich dabei nicht verstehe, ist das Interesse der Gastronomie an der Sache. Früher, als noch jeder seine eigene (handgeschriebene) Rechnung bekam (oder auch nicht), ließ sich, wie ich nostalgischen Räsonnements einzelner Gastromnomen nach 3 Uhr früh entnehme, noch herrlich Schwarzgeld machen. Aber heute, wo alles computerisiert ist? Da heißt´s: Big Brother is watching guest, patron & garcon.
Also wem nützt der Erziehungseffekt der ra'an-Kellnerinnen eigentlich? Ihnen selbst gewiss nicht (vier Zahler geben gewöhnlich mehr Trinkgeld als einer), dem Konto des Besitzers nur dann, wenn er fürchtet, dass seine KellnerInnen ihn so sehr übers Ohr hauen, dass ein computerisiertes Bonierungssystem immer noch billiger kommt. Bleibt, als Profiteur, nur der Fiskus, also gewissermaßen der/die gemeinsame Schüssel, in die alles in diesem Lande fällt.
Oder sollte mir in diesem seltsamen Konstrukt von Geben und Nehmen irgendwo eine Sollbruchstele entgangen sein?
Für Aufklärung, und sei´s unter Zuhilfenahme allfälliger Verschwörungstheorien, bin ich dankbar.

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