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Christoph Wagner's Weblog

23.02.04 @ 11:36

Es muss nicht immer Faschingskrapfen sein

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Über den Ursprung des Krapfenbackens sind, auch wenn man davon zumeist nur schöne Legenden hört, schon ganze wissenschaftliche Abhandlungen geschrieben worden. Die Legende erzählt von einer Wiener Mandolettibäckerin namens Cäcilie Krapf, nach welcher die in Fett ausgebackene und mit Marmelade oder Vanillesauce gefüllte sowie mit Staubzucker bestreute Festtagsspezialität, die vor allem in der Karnevalszeit angeboten wird, ihren Namen haben soll.

Tatsächlich hat die gute Cäcilie den Krapfen jedoch nicht ihren Familien, sondern lediglich ihren Vornamen geborgt. Weil sie gar soviele Krapfen durchs Schmalzmeer trieb, nannte man die kleinen Kalorienbomben kurzerhand Cilly-Krapfen und knüpfte damit an jenes alte Schmalzgebäck namens „crapho” an, das schon seit karolingischen Zeiten bekannt war und in Wien erstmals 1486 urkundlich erwähnt wurde, als eine Abordnung von „Krapfenweibern" ihrem Fürsten mit einem Korb voll der leckeren „craphen" (was soviel bedeuten dürfte wie: „die mit einer Kralle aus dem Fett gezogenen") huldigte. Von jenen Zeiten, als man während des Wiener Kongresses allein im Jahr 1815 an die zehn Millionen Stück bei offiziellen Empfängen und Bällen verspeiste, vermochten die freundlichen Renaissance-Bäckerinnen indessen nur zu träumen.

Tatsächlich ist die Tradition der Krapfenbäckerei wesentlich älter und wurde schon von den alten Römern praktiziert, die bei ihren ausschweifenden Frühlingsbacchanalien ein krapfenähnliches Brauchtumsgebäck in rauhen Mengen verzehrten. Wie die — ebenfalls seit antiken Zeiten bekannte — Brezel eine Künderin des Fastens, so blieb der Krapfen seither ein Herold des Karnevals. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß die Venezianer, die sich ja ohnedies als Weltmeister im Karnevalfeiern verstehen, mindestens ebenso überzeugt davon sind, daß der Faschingskrapfen in Venedig erfunden worden sei, wie es die Wiener von ihren Cillykugeln sind.

Fritole — so heißt jenes auch heute noch (oder wieder) in den engen Gassen Venedigs um diese Zeit allgegenwärtige Brauchtumsgebäck, ohne das der venezianische Karneval ebenso undenkbar wäre wie ohne glitzernde Pailletten-Kostüme und Schnabelmasken. In allen Trattorien und Osterien der Stadt sind diese Köstlichkeiten höchst dekorativ aufgeschichtet und tragen das Image der Venezianer als besondere Zuckerschlecker und Leckermäuler in alle Welt.

Da ich Venedig zur Zeit des Karnevals trotz der schönen Masken aus einer gewissen Klaustrophobie ebenso meide wie im Hochsommer, muß ich mein venezianisches Karnevalsgefühl allerdings selbst auf den Tisch bringen — was mir gar nicht so schwer fällt, da mir vor einiger Zeit ein altes venzianisches Rezept für diese kleinen, sündhaften Bissen in die Hände gefallen ist, das gegenüber der „Wiener Verwandtschaft" den Vorzug besitzt, daß die Venzianerkrapfen ihre Saftigkeit nicht der Marmelade, sondern der ausreichenden Verwendung von Grappa beim Einweichen der Rosinen verdanken.

Für echte venezianische Fritole benötige ich: 320 g Mehl, 30 g Hefe, 75 g Butter, 40 g Staubzucker, 5 EL Milch, 80 g Rosinen 4 cl Grappa, 1 EL Vanillezucker, 3 Eidotter, 1 Ei, 1 Prise Salz, Schale einer Zitrone, 1 EL Pinienkerne, eine Messerspitze Zimt, Schweine- oder Butterschmalz zum Ausbacken

Das Wichtigste für das Gelingen dieses Rezepts, und gleichzeitig das wahrhaft Italienische daran sind die Grapparosinen. Man stellt sie ganz leicht her, indem man ganz einfach eine Handvoll Rosinen in der Grappa einweicht und inzwischen in aller Ruhe einen Vorteig, nördlich des Alpenhauptkamms auch „Dampfl" genannt, für den Germteig ansetzt. Dafür wird die Hefe in zwei Eßlöffeln Milch aufgelöst und mit etwas Mehl vermischt, mit einem feuchten Tuch abgedeckt und an einem warmen Ort zum Rasten und Aufgehen aufgestellt. Etwa eine halbe Stunde später — die Rosinen haben mittlerweile auch schon intensivere Bekanntschaft mit der Grappa geschlossen — wird das Dampfl mit dem restlichen Mehl, dem Ei, der restlichen Milch,dem Zucker und Vanillezucker sowie Salz, Zimt und geriebener Zitronenschale gut miteinander vermischt. Jetzt ist der Moment gekommen, auch die aufgelöste Hefe, die Grapparosinen (mitsamt der verbliebenen Grappa) und die Pinienkerne dazuzugeben und den Teig abermals an den bewußten warmen Ort zu stellen, wo man ihm dann viel Zeit zum Aufgehen lassen sollte.

Sie können nunmehr getrost ein wenig abschweifen, um sich in die Stimmung des alten Venedig zu versetzen. Legen Sie beispielsweise eine alte venezianische Oper auf. Claudio Monteverdis „Il ritorno di Ulisse" ist im gegenständlichen Fall besonders gut geeignet, dauert die Oper doch ziemlich genau so lang, wie unser Germteig benötigt, bis sich sein Volumen in etwa verdoppelt hat: nämlich etwa drei Stunden. Danach sollte der Teig keinesfalls pampig, vor allem aber auch nicht trocken sein. Passiert letzteres dennoch, so kann man den Teig jetzt noch problemlos mit etwas Wasser oder Milch noch cremiger machen, wobei er allerdings auch nicht zu flüssig geraten sollte.

Die Stunde der Fritole schlägt freilich erst, wenn sie mit ihrem wahren Element, dem Fritierfett, Bekanntschaft schließen. Ich verwende dafür Butterschmalz, weil es sowohl robust als auch fein-nussig im Aroma ist. Man kann aber auch Schweinschmalz anschmelzen oder Butter-.mit Schweineschmalz vermischen. Wichtig ist, daß die Kasserolle groß genug ist und man am Fett nicht spart. . Hat dieses die ríchtige (nämlich eine ziemlich hohe, aber nicht „rauchende") Hitze erreicht, so sticht man aus dem Teig mithilfe eines Eßlöffels kleine runde Bällchen, die man von beiden Seiten her braun bäckt, bevor man sie mit einer Schöpfkelle vorsichtig aus dem Fett hebt, auf Küchenpapier abtropfen läßt und - in Staub- oder feinem Kristallzucker gewendet - warm oder kalt, vielleicht zu einem Gläschen friulanischem Picolit oder süßem Recioto aus dem Veneto serviert.

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