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SPEISING Open
01.10.09 @ 21:31
Über Bauernküche, Beichtgeheimnis und sonstige Gerüche
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Neulich auf der Terrasse eines Restaurants. Ein Spätsommertag, blauer Himmel, doch dann zog ein stechender Geruch über den Buchsbaumzaun. Ein Landwirt spritzte sein Feld mit Jauche. Einer nebenan bemerkte: „Saumist!“ Ich erwiderte, dass es eher Rindergülle sei, weil Schweinemist denkbar schlimmer stinke. Ein Lüfterl kam und nach einigen Minuten und brachte es den bekannten Geruch von Dieselauspuff und Dorfluft über die Speisenden; der kurze Gülle-Spuk hatte sich gelegt, oder aber unsere Riechkolben haben einfach auf das Steinpilzaroma umgeschaltet, das von den hausgemachten Nudeln vor uns am Teller aufgestiegen ist.
Wer kennt sie nicht, die Landluft, und mich ärgert es immer wieder, wenn just der Bauer, dem ich so vieles abkaufe, darauf vergisst doch niemals während der Mittagszeit oder just am späten Abend noch eine Fuhre Mist aufs Feld zu streuen. Dabei wäre das doch ein netter Traktor–Sticker, den der Bauernbund verschicken könnte:
Ich spritz nie Mist, wenn jemand isst.
Kauf bei deinem Landwirt!
Aber auch die Wirte sind bei den Gerüchen nicht zimperlich. Der Küchendunstabzug, jahrzehntelang nicht ordentlich gereinigt, wird zur Gefahr für feine Nasen. Das billige, nie gewechselte Öl in den Fritösen legt sich in den feinen Anzugstoff, die Nikotinhöllen der Lokalität paust sich in die Wäsche. Wer stark raucht, dazu ein Fressferkel ist und selber recht ungepflegt daherkommt, wird das gar nicht merken. Der Mief ist sein Stoff gewordener Charakter, der anders nivellierten Riechkolben mitteilt: „Hau ab, ich bin ein Depp!“
Man hat es schon oft erlebt, in den großen Geschäftshäusern, Konsumtempeln, man wird irgendwie von einem Schwindelgefühl getroffen und sucht den Ausgang. Nicht nur die hohe statische Aufladung üppiger Kunststoffdekorationen und elektrischer Apparaturen, auch der Geruch von Wäsche, Leder, Gummi, die Ausdünstung von verwesendem toten Ungeziefer und der ölig-ranzig -süßliche Geruch aus Installationen einiger Fastfood-Distributoren greift nach dem Gleichgewichtszentrum wie eine unsichtbare Beißzange, die förmlich durch die Eustachische Röhre ans humane Gehörknöchelchen fasst. Man hat das Gefühl, die Brillenstärke passt nicht mehr, man findet das Maß der Schritte nicht so gut. Lange dachte ich, dass die statische Aufladung für meine Schwindelanfälle in Großkaufhäusern verantwortlich sei. Es gibt Leute, welche Handystrahlung und weiß Gott was für solche Erscheinungen verantwortlich machen.
Ein bekannter Biotechniker und Physiker erklärte mir jüngst, dass es viel mehr noch Gerüche sind, die Schwindelgefühl erregen. Übler Geruch ist ein Hinweis auf Gefahr, und damit der Mensch nicht in diese gefährliche Umgebung tritt, wird ihm schwindlig. Sprachlich umgesetzt heißt es: Halt, bleib stehen, weich aus, geh weg!
Wahrnehmungen durch Geschmacks- und Geruchssinn werden vermutlich die ältesten Reflexionen der Lebewesen auf die Umwelt sein. Bakterien, Schnecken, Schleimpilze, sie alle weichen Gerüchen aus, und das auf einfachste Art, wie mir ein Biochemiker erklärte. Bei gewissen, für sie schädlichen Gerüchen, droht ihnen der Verlust der Orientierung, ähnlich unserem Schwindelgefühl weichen sie von der Reizquelle ab und entgehen damit einer Gefahr: Die Motte meidet den Lavendelgeruch. Die Nacktschnecke findet, an Brennnesseln vorüber, zielgenau zum Basilikum.
Warum lassen sich so viele Menschen von diesen üblen Gerüchen in der Umgebung von Würstelbuden, Frittenhütten, Fastfoodketten und Restaurants betäuben? An billiges Essen an Straßenecken wird man gewöhnt. Unsere Ernährungsweise, die stets ihre Mängel hatte und besonders in der Stadt immer vom Geruch des Verderbs begleitet war, hat uns den Geruchsinn verflacht und abgestumpft. Eigentlich sollte der Mensch unter allen Lebewesen den besten Riechkolben besitzen, wenn er den Anspruch, die Krone der Schöpfung zu sein, erfüllen will. Leider ist das Organ bei manchen Menschen schon so gut wie tot.
Auch bei den Haustieren, welche ihr Leben in kargen Ställen fristen, ist dieser Sinn längst weg gezüchtet worden. Flüchtige chemische Verbindungen aus der Luft oder über das Futter wahr zu nehmen brauchen sie nicht. Ihr Leben ist zu kurz, um diese Erfahrung zu vererben. Daher maulen die Kühe ohne weiteres auf Weiden jede Menge Fremdkörper und Kot anderer Tiere.
Einer der ärgsten „bösen“ Gerüche ist jener verdorbener Fleischwaren - zum Teil hochgelobt von Feinschmeckern bei gut abgehangenem Fleisch. Eine Marktpsychologische Maßnahme, die zur „feinschmeckerischen“ Tradition gewandelt wurde. Da sollte einem der Güllegeruch im Gastgarten viel lieber sein. Denn der zeugt von Leben.
Zu Gerüchen hat mir ein Pfarrer aus Bayern eine nette Geschichte erzählt:
Anno dazumal, als es am Land noch wirklich überall gestunken hat, nach Jauche, Stall, Plumpsklo und verdorbenem Speck u.a.m., wo man z.B. ebensolchen Speck, der unter der Schwarte oft auch von Maden ausgefressen war, noch schnell gekocht hat, um das Hofgesinde zu nähren, wurde den Leuten oft schwindlig nur vom Ansehen der Speisen. Auf keinen Fall war die „Bauernküche“ so wie es uns jetzt die Bauernbünde und Tourismus–Macher vorgaukeln. Stinkendes Fleisch war normal, das Fett rar und uralt, die Butter stets ranzig, das Brot voll Schimmel, der Hunger groß und somit auch der beste Koch.
Das Beichten wiederum, ein durchaus wirkungsvoller, katholischer Brauch, war ja nur für die kleinen Leute, ging es um das, was die Mutter Kirche damit im Schilde führte. Es war ein „Aushorchen“ der Bevölkerung, so eine Art antike Stasi, auch und effektvoller Nachrichtendienst. Um an die Geheimnisse einer Sippe, Gemeinde und etwaigen Geheimbunds zu kommen, war Beichten sicherlich auch von größtem staatlichen Interesse. Damit das dann auch wirklich geschah, gab´s gewisse Leckerbissen, um die Magd, den Knecht, etwas gesprächiger zu machen. Gewürzter Wein mit morgenländischen Zimt, Muskat, Kardamon und Nelklein, Gewürzliköre aus dem nahen Kloster, Magenbitter mit Bilsensamen und Hanf aus den beschlagnahmten Beständen einer verbrannten Hexe, und süßes wohlduftendes Gebäck, wie Honig- und Lebkuchen.
Dieser Anschlag guter Gerüche spitzte die bäuerlichen Riechkolben, ließen Ehrenwörter und Treueschwüre vergessen und lockerten die Zunge naiver Hausmägde. Gerade und aufrecht stehend, kniend beichtete man gerne, wie gespasst, geherzt, geküsst, gestohlen und beigewohnt wurde.
Beichtschnapserl, Beichtstriezel, Beichtpofesen. Offiziell liest man anderes darüber, zur Osterbeichte als Belohnung usw. Am Ende aber, wenn man die Zustände alter Orte bedenkt, war man mit gutem Geruch alleine schon himmlisch belohnt und zahlte mit gewissen Geheimnissen, denn sonst hatte man ja nichts, zurück.
Zum Dank fürs Lesen und fürs Nachdenken ein kleines Rezept mit Duftnote: Vielleicht erfährt man nach dem Verzehr auch ein kleines Geheimnis!
Die Beichtpofese:
Zwei weiße Brotschnitten, oder alte Semmeln, nicht zu dick, füllt man mit Marmelade, Zwetschkenröster oder Powidl. Einen Backteig, der mit Wein oder Most und Zucker abgeschmeckt wurde, dient als Überzug, bevor man die Pofese in Schmalz bäckt.
Backteig ist wie Palatschinkenteig herzustellen, eine Spur dicker, und wenn man Wein dazu nimmt, soll es keine Milch (gerinnt) sondern süßer Rahm sein, womit man das Mehl zuerst anrührt. Parfümiert werden kann auch: mit Zimt, Zitrone, Rum
Nach dem Verzehr kann man sich ganz sicher wieder „riechen“. Auch wenn man davor bereits den Braten gerochen hat, den süßen Duft des Erfolgs ausgekostet und merkte, dass Geld niemals stinkt.
Euer Burning Börnie

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