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SPEISING Open

22.06.10 @ 10:01

Die Kunst des Scheiterns

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Zuerst muss die ideale Immobilie gefunden werden. Das leerstehende Holz-Kohle-Koks-Lager aus den 70ern hinter dem ehemaligen Verschubbahnhof, gleich neben den drei heruntergekommenen Markthütteln ist perfekte Bühne für die kommende Performance. Die Räume werden auf "besenrein" gebracht und möglichst unverändert belassen. Im Caritas-Lager findet man ein paar Tapezierertische und Sessel sind einerseits so was von out, aber wenn dann doch jemand sitzen möchte, kann er ja auf den Umzugskisten Platz nehmen. Der Russische Luster, Glühbirne an Fassung, wird als Zitat belassen und soll das Spannungsfeld zwischen ON/OFF darstellen. Perfekt. Heizen ist unpassender Luxus, der Küchendunst soll den Gästen reichen.

Nun muss der passende Koch gefunden werden. Ein gescheiterter Konzeptkünstler mit unnahbarer Aura muss her - dazu hört man sich am besten im Umfeld von Architekturstudierenden um.Wer Sätze wie "Die Leute werden meine Küche nicht versehen" von sich aus hervorbringt, hat den Job.
Weil regionale Herkunft der Produkte gut für das Wetter sind, dient der nächste Penny-Markt im Bezirk als Lieferant für Lebensmittel und Getränke.

Die Gerichte werden bei Tisch mit Lötkolben, Lockenwicklern und auf Leichtmetallfelgen zubereitet - der Wein wird aus bunten Teelichtvasen getrunken. Die Karaffen und Aschenbecher sind aus Ton und vom letzten Flohmarkt der Selbsthilfegruppe Schlaganfall zusammengetragen.

Herrjeh, wie soll das Lokal heißen? Kennt jemand einen komplett unbekannten, russischen Lyriker aus dem späten 18. Jahrhundert? Alkoholiker war er auch? Diesen Namen nehmen wir.
Speisenkarte? Schnickschnack! Preise? Es geht um das Erlebnis, wer fragt da nach den Kosten? Die Gäste sollen sich befreien können von den herkömmlichen Konzepten und ganz bei sich sein. Darauf kommt es an.
Wenn die ersten Gastrokritiker anrufen, signalisiert man maximales Desinteresse, erklärt den Wunsch nach Untergrund und hinterfragt die Redaktion. Sollte nicht eher jemand von der Kunst/Kulturseite darüber berichten? Besser kommt da natürlich das Facebook an, verwackelte Fotos mit jungen Kosmopolibobos, die aussehen, als ob sie seit 45 Jahren einen Altwarentandler betrieben, machen schnell die Runde, und ein hysterischer Hype huldigender Erlebnishungriger füllt das nur temporär angelegte Konzeptlokal, das gar keines sein möchte.

"Erfrischend anders, wohltuend neu" wird Wochenenden später die Zeitungsbeilagen beüberschriften und ständig werden neue Details der maßlos spannenden Biographie des Kochs bekannt und hinter vorgehaltener Hand weitergetuschelt. Sie kommen zur erst aus ganz Österreich, dann aus Süddeutschland und Monate später drücken einander die wesentlichen Lifestylejournalistinnen der Welt die verrostete Klinke in die Hand, um das Gastronomie-Wunder im grindigsten Winkel der Stadt mit den besten Fotografen in Szene zu setzen. The Viennese Wonder ist geboren.
In Interviews erklärt der Betreiber, er sei ja nur ein kleiner, unbedeutender Koberer und bezeichnet sein Konzept traurig als gescheitert. Dafür lieben sie ihn.

Gregor Fauma
Foto copyright: gallery.dralzheimer.stylesyndication.de

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