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SPEISING Open
30.11.10 @ 15:55
Hinter kulinarischen Kulissen
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Urlaub macht die Menschen dumm.
Sie fangen an, Hässliches schön, Grausliches gut und Bequemes als unangebracht zu empfinden. Will man bei Authentizitätsdebatten unter Weitgereisten und Vielgespeisten nicht nur mit dabei sondern auch vorne mit sein, so bleibt es einem nicht erspart, sich auf Reisen entsprechend zu ernähren.
Die authentische Küche in fremden Landen erkennt man in der Regel daran, dass man den Namen des Gerichts nicht einmal aussprechen kann. Dasselbe Gericht heißt im Nachbarort natürlich ganz anders und die Einheimischen legen großen Wert darauf, dass es auch anders zubereitet wird. Nehmen wir nur die dicken Nudeln der Toskana her, die Pici: Eiklar, Mehl und Wasser – der Dotter darf da nicht hinein. In Siena und Umgebung spricht man sie Pietschi aus, rührt den Teig aber ohne Eiklar an, in Montalcino bestellt man selbstsicher Pinntschi (klarerweise mit Eiklar!) und in der südlichen Maremma rund um Saturnia werden sie Piieschi gerufen und aus zwei verschieden fein gemahlenen Mehlen zubereitet. Was sie bleiben, sind eher zähe, unterschiedlich dick gerollte Teigwaren, von groben Köchen für grobe Esser zubereitet.
Lokale, authentische Gerichte zeichnen sich weiters dadurch aus, dass sie zu meist eine Arme-Leute-Kost sind und aus Zutaten bestehen, die links und rechts der Bundesstraße wild gedeihen oder auch von dieser zu kratzen sind und ergo wenig kosten. Sind die Distelblätter dann auch noch anständig bitter und ist das Fleisch sehnig-drahtig und kaum zu kauen, legt sich beim Gastrotrotter ein breites Lächeln über das sich entspannende Gesicht. Jetzt hat er wieder eine Trumpfkarte im Ärmel, die er bei Gelegenheit ganz beiläufig ausspielen wird. Bitter-holzige Blätter, breiig-mehlige Bohnen und ausgekochte Flachsen sind Maßeinheiten beim ritualisierten Schwanzvergleich daheim in der Kantine des Polo-Clubs.
Der massiv ins Dämliche neigende Authentizitätswahn wird von den Einheimischen natürlich rasch erfasst und geschäftlich umgesetzt. Ganz besonders tut sich hier die Toskana hervor. Die Gäste aus dem Ausland schwärmen noch Jahre später vom Knoblauchbrot (Fettunta), Bohneneintopf mit Nudelbruch (Pasta e fagioli), Gemüsesuppe (Aqua cotta) und Stockfisch (Baccala). Das ist nicht nur Arme-Leute-Essen, das ist wahrscheinlich auch der Menüplan der KW 27 in der Karlau.
Aber auch die Wiener verstehen es, aus Klischee-Zutaten feine Umsätze zu frittieren: Hansemann und Frauke genießen mit feuchten Augen das Schmalzbrot beim Heurigen, Mister McNamara löffelt kennerisch die Eintropfsuppe beim Wirtshausgeheimtipp und Doktor Stensrup geht vor eingebrannten Erdäpfeln mit Knacker in die Knie vor tief erfüllter Sehnsucht. Wer heute das Menu turistico meiden will, bekommt es erst recht, egal wo.
Da die Toskana dank reicher Schweizer nun nicht mehr so arm wie früher ist, heben die Toskanusi die Arme-Leute-Küche für die Touristen auf und ernähren sich die Spur luxuriöser: Über den in Kräutern weich gereiften Lardo hobeln sie generös dunkle Sommertrüffel, die fingerdicken, butterweichen Steaks adeliger Rindfleischrücken vermitteln Größe - und all das wird mit einem Glas gut gereiften Bolgheris DOC runtergespült – der Trinkspruch dazu hat irgendetwas mit Dank an die Touristen zu tun, die all dies erst ermöglichen. Und was machen die Wiener? Die gehen eh zum Italiener essen, diese Woche hat er Toskanische Spezialitäten auf der Karte …
Gregor Fauma

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