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SPEISING Open
04.03.13 @ 15:58
Nietzsche und die Pferdewurst (I)
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Die „Schummelküche“ ist Überall.
Wir finden in unserer Zeit nur sehr wenige Menschen, die einer permanenten Mangelernährung ausgesetzt sind, wie sie etwa in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu finden war. So werden jene Produkte (die wegen ihres Anteils an Pferdefleisch bloß einen Deklarierungsmangel aufweisen), die mit Sicherheit jahrelang bedenkenlos von allen Bevölkerungsteilen mit großem Genuss verzehrt wurden (daher sinnvollerweise den mittellosen Bürgern geschenkt werden sollten) von jenen, die eigentlich billige oder kostenlose Nahrung nötig hätten, rundweg abgelehnt. Geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul?
Ein Überfluss an Ernährungsmöglichkeiten steht dem weit verbreiteten Mangel an wirklichem Hunger entgegen. Wir sind zum Teil überernährt und essen aus Langeweile, Tageszeit oder Mode. Hunger kennen nur Wenige, therapeutisch. Man kann daran leider nichts ändern, dass der Mensch zuviel isst und zu wenig körperlich verbraucht. Das nennt sich Wohlstand und Wohlfühlwelt, Wachstumswelt. Immer mehr, immer besser und immer dringender.
So arbeitet die Wirtschaft und Wissenschaft nicht nur, um den vorhandenen Nahrungsmitteln immer neue kulinarische Bestimmungen zu geben, sondern auch daran, die Verdauungsapparate der Konsumenten dahingehend zu steuern, dass die stetig wachsende Menge der Möglichkeiten einen rascheren Weg durch dieses körperliche System nimmt. Man hat große Mengen und sucht stetig nach neuen Vermischungsmöglichkeiten. Rezepturen sind Einkaufslisten geworden bis der letzte Bauch gefüllt ist. Der Verbraucher findet darin die Magie des Genusses!
Die erste Möglichkeit, das Zerkleinern, wozu die Zähne eigentlich von Natur aus da sind, wird mit dem Einsatz der tollsten Mixer jetzt völlig ausgereizt. Haupt – Wichtigkeit ist dabei das Verwandeln minderwertiger Substanzen in ansehnliche Verkaufsprodukte und das Würzen, egal was das jeweilige Gewürz mit Herz, Nieren und Leber anstellt.
Produkte als Pastete, Wurst und Mus, Marmeladen, heute die Grundlage vieler Nahrungsmittelschummeleien, waren bereits vor Zeiten eine Angelegenheit des Zweifelns, wenn man es zu Tisch brachte. Es war Krankennahrung, Greisenspeisung, Kindermus. Militäressen für jene bedauernswerten Zeitgenossen, die ohnehin keine lange Lebenszeit im Krieg zu erwarten hatten. Das will keiner glauben, weil es tatsächlich die Wahrheit über die Entstehung der Fertignahrung ist.
Ordentliches Essen war ganz anders. Fester, gröber und vor allem frisch verarbeitet. Kein Lagern, keine weiten Reisen und auch kein chemisches Verändern. Kochbücher wurden, bevor sie gedruckt wurden, auf ihren „Sinn“ geprüft. Im Vorwort beschwören Autoren Rechtschaffenheit. Keine Maschinen. Hilfestellung durch „Handarbeits–Geräte“. Natürliche Geschwindigkeiten.
Der deutsche Romancier, Freiherr und Feinschmecker Friedrich von Rumohr meckerte um 1820 in seinem Buch „Der Geist der Kochkunst“ unverhohlen über die französische Küche ob ihrer Vorliebe für Pasteten aus fein gemischten, stark gewürzten nicht mehr definierbaren Massen, die nach dem Verzehr oft zu schweren Lebensmittelvergiftungen führten. Wohl aber die Taschen der Händler unredlich mit klingender Münze füllten.
Die zweite Möglichkeit zu Schummeln sind Zusätze, die den Organen eine Verdauung vorgaukeln und den „Durchgang“ damit auch das schnell wieder aufkommende „Hungergefühl“ beschleunigen. Ob Getränk oder feste Speise, überall wo lange Verarbeitungs- und Lieferwege im Spiel sind, wird die optimale Machbarkeit stets ein sehr interessantes Thema am Rande dabei haben: Wie kommt man damit zu mehr Geld und dann zu noch mehr Geld.
Die Möglichkeit, Originalzutaten durch minderwertige „Vertreterstoffe“ auszutauschen, ist aber die Beliebteste.
Es steckt in vielen Rezepturen, seit deren Erfindung, die Möglichkeit zu fälschen. Man kann das Bindemittel austauschen, das „Fülle“ gebende Mittel ebenso, die Gewürze und Farbe verstärken, das Öl, Fett und viele andere Dinge austauschen, von denen es eine riesige Anzahl Variationsmöglichkeiten gibt. Ja, man kann das Fleisch fälschen. Aus Schwein wird Pute und Rind. Aus billigen Fischen, anspruchsvoll klingende Sortennamen. Nicht umsonst mussten Kaninchen auf Stadtmärkten noch vor einigen Jahrzehnten ihre Pfoten dabei haben, weil man die schlitzohrigen Marktfahrer kannte, die sonst ohne weiteres Katzenfleisch als Hasen verkauften. Fischhändler durften auf vielen Märkten im Winter keine warme Kleidung tragen, damit sie ihren Fisch schnellstens verkauften und nicht bei dieser günstigen Temperaturlage aufbewahrten, bis mehr verlangt werden konnte. Im Prinzip sind ja fast alle modernen Rezepturen offene Gruben für die Einbringung von schundigem Material. Bestes Beispiel ist daher die Zerkleinerungstechnologie, die dem Zeitgeist-Koch heute zur Verfügung steht. Das Märchen vom gut abgelagerten Fleisch birgt weitere „Geldscheffel-Möglichkeiten“. Halb verfaultes Fleisch darf als Delikatesse die Tische der noblen Restaurants erreichen, und puffert dem Handel die sonst entstehenden saisonalen Lücken im Vertriebs-System hervorragend ab. Der Koch glaubt, was auf der Packung steht. Von Kadaverin hat er noch nie gehört.
Man konnte stets sehr gut schummeln, denn mit gefälschten Lebensmitteln machte man seit es Überland-Handel gibt, immer großen Profit. Von gefälschten Nahrungsmitteln berichten uns bereits uralte Koch- und Arzneibücher. Bei den Arzneien war man aber erpichter, die Übeltäter sofort zu stellen, um sie eventuell gleich am nächsten Galgen baumeln zu sehen. Semmelfälschen wurde milder bestraft. Ob die teure geriebene Muskatnuss mit Haselnuss–Sägespänen vermischt oder Paprika mit Ziegelstaub, der Pfeffer mit gehackten Pferdehaaren oder dem giftigen Mönchpfeffer gestreckt, alles was nicht gleich zum schnellen Tod, Durchfall oder Verstopfung führte, ward sogleich auch Bestandteil der Nahrung. Die Missetaten der historischen Köche, Haushaltsvorstände, Restauration-Unternehmer sind Legion. Das steht in dicken alten Büchern und wird mitunter sogar als kulturelle Errungenschaft gepriesen.
Überführt wurden Wenige. Denn wer wollte nicht einen „billigen“ Haushalt? Waren die Gäste weg, kam sowieso oft die Ernüchterung über die Gesellschaft mit ihnen. Eine Tugend guter Haushofmeister war doch Sparsamkeit! Große Denker ließen sich darüber aus, Schopenhauer, Goethe und Nietzsche nannten die deutsche Hausfrau fast unfähig, ordentliches Essen zu kochen, und sprachen explizit deren Hang zur geizhaften Sparsamkeit beim Einkauf an. Selbst der altertümliche Platon nannte die Kochkunst eine arge Schwindelkunst und wenn es Kunst ist, dann eng verwandt mit der Schminkkunst. Das ist sie im Wesentlichen bis heute auch geblieben. Und es gibt in der Gastronomie-Welt nicht einen guten Ansatz dafür, dass es sich ändern könnte. Bewegungen wie etwa Slowfood oder „Nachhaltigkeitsdenken“ gibt es nur, weil einer Mode Rechnung getragen wird. Das große Geschäft machen selbst die größten Fastfoodkonzerne mit diesen plakatierten Werten. Echte Wertigkeit ist es nicht. Sie schummeln mit bekannten Begriffen und vergewaltigen die Schöpfer guter Ideen.
(Teil II folgt dieser Tage)

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