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Das Weinlog
01.06.04 @ 18:54
Das glagolitische Fläschchen
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Meine Beziehung zu Zlahtina begann mit einem Missverständnis.
Der Name erweckt zwar, wenn man ihn nur liest, keine besonderen Assoziationen, wenn man ihn jedoch richtig ausspricht, so sagt man Schlachtina, und das Wort erhält sofort eine doppelte Bedeutung. Ich erinnere mich an eine Linguistivorlesung in einer frühen Phase meines Germanistikstudiums, in der es um Ambiguität ging. „Das Schlachten der Neger war fürchterlich”, lautete damals, in politisch weniger korrekten Zeiten, der zu analysierende Mustersatz. Auch das Schlachten der Serben war fürchterlich, dachte ich sogleich, oder jenes der Bosnier, gleichwer, gleichwie...
Und ohne viel darüber nachzugrübeln warum, habe ich Zlahtina immer für einen Kriegertrunk gehalten. Fürchterlich. Schlachtina. Ein Wein, der unter dem Zivilisationslack verkleisterte Emotionen absplittern lassen oder auch gänzlich freilegen kann.
Kein schöner Name, Schlachtina, dachte ich. Aber gegen den Wein habe ich nie etwas gehabt. Ganz im Gegenteil, ich habe ihn in kroatischen Restaurants immer recht gerne zu Fisch getrunken, aber ehrlich gesagt keine großen Recherchen in diese insgesamt ja eher kleine Kreszenz investiert.
Lange Zeit, ich gestehe es ehrlich, habe ich den Zlahtina überhaupt mit dem Zilavka verwechselt, weil das für einen des Slawischen Unkundigen nicht nur ähnlich klingt, sondern beide Weine für mich früher ganz einfach aus Jugoslawien stammten. Doch dann kam der Balkankrieg, und es gab in Wien weder Zilavka noch Zlahtina, und es bedurfte eines ziemlich heftigen Auftritts zwischen mir und einem kroatischen Geschäftsfreund, bis mir klar wurde, dass Zilavka keineswegs mit dem aus Herzegovina stammenden Zlahtina identisch ist, der wiederum auf der Insel Krk, also gewissermaßen an einem ganz anderen Ende der Balkanwelt, wächst und mit Zilavka nicht das Geringste zu tun hat.
Ich hingegen wandte damals ein, dass Herzegovina und Krk für mich etwa so identisch seien wie für einen Kalifornier die Wachau und das Weinviertel, doch mein Freund ließ dieses Argument nicht gelten, beschwor pathetisch die Brücke von Mostar und ließ seit dieser Auseinandersetzung nie wieder etwas von sich hören.
Dieser etwas martialische Auftritt hat freilich andererseits auch wenig dazu getan, mein Vorurteil, dass der Zlahtina ein Schlachtina sei, wirksam zu bekämpfen.
Erst im Zuge meiner in konzentrischen Jahresringen sehr allmählich erfolgenden intimeren Annäherung an die Kvarner Bucht habe ich erkannt, wie töricht, hochnäsig und letztlich auch fachlich dumm mein Vorurteil war. Denn wenn man vom einleitenden Z (mit Hatschek) sowie dem auffallend daktylischen Gleichklang von Zlahtina und Zilavka einmal absieht, müsste einem alleine der Geschmack sagen, dass die beiden Weine soviel miteinander zu tun haben wie portugiesischer Vinho Verde mit französischem Chablis.
Aber wer verkostet beide Tropfen schon nebeneinander? Und außerdem passen beide perfekt zu Meeresfischen, und mehr, muss ich zu meiner Schande gestehen, wollte ich über diese beiden Weine früher auch nicht wissen.
Das hat sich mittlerweile geändert. Den Zilavka blenden wir aus rein geographischen Gründen aus, doch zum Zlahtina fällt mir mittlerweile viel mehr als nur die Tatsache ein, dass er ausschließlich auf der Insel Krk gedeiht und der einzige nennenswerte autochthone Wein im Kvarner ist, der seinen Weinbedarf ansonsten vorwiegend mit dalmatinischen Plavac, istrischem Malvasia und Grasevina tief aus dem Landesinneren speist.
So kann ich beispielsweise mittlerweile auch meinen Lieblings-Zlahtina bestimmen. Es ist jener von Toljanic aus Vrbnik, und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass auch bei dieser Einschätzung nicht nur der über jeden Zweifel erhabene erfrischende Wohlgeschmack dieses so fruchtigen wie trockenen Weines mit seinen zarten Grapefruitanklängen beteiligt ist, sondern schon wieder eine außerönologische Konnotation. Das Etikett dieses Weines ist nämlich, zumindest teilweise, in jener glagolitischen slawischen Kirchenschrift gesetzt, die von den Mönchen auf Klosterinsel Kosljun bis heute hoch gehalten wird und mich als Musikfreund an die glagolitische Messe von Leos Janacek erinnert, die für mich eines der schönsten Stücke Kirchenmusik des 20. Jahrhunderts ist.
Doch ich schweife schon wieder ab. Toljanic ist einer von nur vier namhaften Zlahtina-Produzenten, die miteinander auf rund 1000 Hektar Rebfläche 150.000 Liter pro Jahr keltern. Der Wein hat nicht allzuviel Alkohol, widersetzt sich nachhaltig längerer Lagerung und hat, zumindest bis jetzt, eine fast schon sympathische Barrique-Allergie. Die Bevölkerung von Krk misstraut den Angaben ihrer Winzer, dass Zlahtina ausschließlich aus Inselreben stamme, dennoch: „Soviel Wein, wie auf Krk wächst”, erklärte mir einer der Skeptiker nicht ohne eine gewisse Glaubhaftigkeit, „soviel trinke ich selbst.”
Kurzum, wer Zlahtina bestellt, der darf nicht erwarten, einem der Großen der Weinwelt zu begegnen, hat es allerdings auch mit dem absoluten Gegenteil eines billigen Massenträgers zu tun. In frischem Zustand getrunken, besticht der Zlahtina durch seine traubige Frucht, seinen südlichen Akazienduft und seine lebhafte, prickelnde Säure, die ihn schon in die Nähe eines Prosecco di Valdobbiadene rückt (nicht, wohlgemerkt in jene des Prosec, denn das ist ein Dessertwein, den Toljanic, aus Spaß an der Freud, übrigens ebenfalls aus einer autochthonen Rebsorte keltert).
Der Zlahtina ist zugegebenermaßen kein Wein für eine lange anhaltende, zunehmend an Intensität gewinnende Beziehung, sondern er hat schon eher etwas von einem flotten Quickie oder einem lustvoll ausgekosteten One-Night-Stand. Er ist, nehmt alles nur in allem, ein Augenblickswein, zu dem man, frei nach Goethe, sagen darf: „Verweile doch, du bist so schön!” Doch treulos, wie Augenblicke nun einmal sind, verschwinden sie dann schneller wieder, als man denkt, und das gilt wohl auch für den Abgang des Zlahtina.
Was der Zlahtina-Augenblick dem faustischen jedoch mit Sicherheit voraus hat, ist, dass er sich jederzeit wiederholen lässt ÷ zumindest solange noch ein glagolitisches Fläschchen von Toljanic im Keller ist.
(Nachkosten kann man den Zlahtina bei den meisten Kroaten Wiens, oder man bestellt ihn, die Bouteille um saloppe 6,90 €, unter: www.jadrovino.de/catalog/product_info.php?products_id=66. Österreichischen Importeur konnte ich noch keinen ausfindig machen.)
chw

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