Das Weinlog

30.09.04 @ 10:09

Gesellschaftliches Ereignis

Es gibt ja eine Vielzahl von Zugängen zum vergorenen Traubensaft: neben den hierorts schon vieldiskutierten dionysischen und apollinischen (ja jetzt hab' ich's auch gemerkt) noch eine Reihe weiterer. Meist ist es jedoch eine Mischung aus den angeführten Elementen, also (der Bürgermeister möge mir die Simplifizierung verzeihen) aus extatischem Genuss und intellektueller Analyse in Kombination mit anderen Freuden des Alltags.

Wenn ich jedoch den zuletzt publizierten Bericht der hochgeschätzten Kollegin Deutsch ( tinyurl.com/6aqd5 ) von ihren Erlebnissen im Salon nachempfinde und mir die höchst plastisch geschilderte „Location” Spielcasino vorstelle, dann fürchte ich (auch aus persönlicher Erfahrung), dass sich in dieser Umgebung weder das eine noch das andere Element wirklich ausleben lässt.

Ein hemmungsloses Ritual zu Ehren des Jupiter würde im besten Fall höchst indigniert, mit gerunzelter Stirn und hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis genommen, über kurz oder lang aber wäre der Sicherheitsdienst zur Stelle, um die Ordnung wiederherzustellen. Einer tiefgehenden Analyse der 200 dargereichten Weine steht in dieser Umgebung jedoch gleichermaßen einiges entgegen: begonnen bei den homöopathischen Dosen, die - wie eindrucksvoll beschrieben - den olfaktorischen Attacken von Rasierwasser und Eau de Toilette kaum etwas entgegen zu setzen imstande sind, über das Geremple an den Verkostungstischen bis zur Unmöglichkeit sich mit Gleichgesinnten über die (vermeintlich?) gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen.

Was ist es dann, was (auch mich) immer wieder dazu bewegt, an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen? Einerseits natürlich die Möglichkeit, viele mehr oder minder unbekannte Weine auf engem Raum und in kurzer Zeit zu verkosten. Andererseits aber scheint es sich für viele der Teilnehmer immer mehr um ein gesellschaftliches Ereignis zu handeln und dann ist es sekundär, ob Hermann Nitsch seine jüngsten Oeuvres ausstellt, ob man Nikolaus Harnocourt am Taktstock hängt, einem Vortrag über die gesellschaftliche Relevanz der Relativitätstheorie (2005 ist Einsteinjahr!) lauscht, oder doch einer Reihe von Winzern und ihren Produkten seine Reverenz erweist. Ich verurteile das - mit Sicherheit von ausgekochten Marketingexperten ersonnene - Konzept, Weinverkostungen in den Rang von Seitenblicke-tauglichen Veranstaltungen zu erheben (?) keineswegs und anerkenne die auch für Weinproduzenten bestehende Notwendigkeit einen mehrheitsfähigen Marktzugang zu erhalten, aber bereitet das wirklich noch Freude?

Ich erlaube mir (nach einigen Wochen Pause) wieder einmal, die Meinungen der werten Traubinger zu erbitten. Nehmt Ihr auch an derartigen „Events” teil? Falls ja – warum nicht?

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