Home | Blogs | Das Weinlog | 17.01.05

Das Weinlog

17.01.05 @ 01:33

ZEHN WEINE, VERKOSTET IN LIEBE

Kommentar abgeben

ausblendenSie müssen eingeloggt sein um diese Option zu nutzen. Falls Sie noch nicht Mitglied von SPEISING.NET sind, können Sie sich hier registrieren.

Die umtriebige niederösterreichische VINOVATIVE aus Kamp- und Strassertal hat mir vor Weihnachten ein schmuckes Zehnerkisterl mit der Bitte um tunlichste Verkostung und Kundgabe der Protokolle vorbeigebracht. Ich habe mich über das in einer erstaunlich makellos gedrechselten Holzkiste gelieferte Geschenk wirklich gefreut und versuche anbei, diese Freude poetisch zurückzugeben.
Das Leitmotiv des Kosters war in diesem Fall nicht Kritik, sondern Liebe. Wer keine Poesie und keine Einträge mit mehr als 2000 Zeichen mag, bitte einfach überlesen und sich nicht irritieren lassen!

SEELE
Cobaneshof Schneider, Gobelsburg am Kamp, Grüner Veltliner 2002

Ein Quittentrunk mit frechem Pfefferl und üppigem Zungenschwall. Kein Alltagswein, aber auch nicht unbedingt einer für hohe Feiertage. Niemals erhaben, aber doch auch nicht banal. Ein Wein für Feste. Kein Saufwein, aber auch keiner fürs Studierstübchen. Ein Frühabendwein, mit dem sich freudig der Tag besiegeln, aber nicht unbedingt beschließen lässt. Ein Wein ohne Schatten, ohne Melancholie, ohne trübe Gedanken. Eher ein Tropfen, der zum Spiel und, so pikant wie frivol, vielleicht auch zur Liebe anregt. Ein Schönwetterwein, der Schweigern die Zunge löst und Plaudertaschen ins Plauschen bringt und den man sich, hätte man einen Wunsch frei, in eine Bouteille ohne Boden wünschen würde. Ein humorvoller Wein mit Seele.

GARTEN DER LÜSTE
Gerhold, Gösing am Kamp, Grüner Veltliner „G” Reserve 2003

Eintritt in den Zaubergarten. Die Blüten: üppig, da und dort vielleicht sogar mit wilder Begierde nach Biss und Fleisch. Ein Gewächshaus, wohltemperiert, aber auch gut durchlüftet, mit einem kalten Luftzug. Säure, in einem Gitterkäfig mit List eingefangen, die zu einem sanften, lustvollen Prickeln gerinnt. Durchpulste Gefäße, tanzende Schwellkörper im stetigen Fluss, panspermisch, mit dem gewissen sündigen Duft unter aufgeschüttelten Daunen. Fluss ohne Wehr. Kantate ohne Kontrapunkt, sanft schwebend, mit diesem schmerzhaften Klirren hinter dem Salbadern und jenseits der Harmonie. Zauber des Rätsels. Kopfnuss für den Koster. Ein großer schwarzer Vogel, ein Schatten mit Flügeln. Herab stürzt der Geier und reißt - nein kein Lamm, keinen Hasen, keinen Siebenschläfer. Nichts davon würde zu diesem Wein passen, eher schon eine Gazelle.

GEFÜHLVOLL GESCHLAGEN
Berger, Gedersdorf am Kamp; Grüner Veltliner Gebling 2003

Ruten, aus Weinreben gebunden, auf bloßer Haut, sanft, mit Gefühl geschlagen aus den Gelenken gut geölter Bacchantinnenhände. Ein Streichen über offene, trunknasse Poren, ein Fiedeln über magnetisch aufgeladene Härchen, knapp bis an den Lust entkrampfenden Schmerz. Doch kein Wein für den Schrei, kein Aufguss für Lethe, kein Strom quälenden Erinnerns, vielmehr ein Tonicum für die Vibrationen des Organischen, Balsam für das zerschründete Fleisch. Doch Wunden sind schnell verbunden, Klüfte sind rasch überbrückt, und wildes Fleisch wird schnell mit der Rebschere wegoperiert. Rebstöcke sind keine Spießenruten, der Weingarten ist kein Kommiss und Genuss nicht Tod vor dem Feind. Ein harmloser Tropfen im Grunde, doch von einem Boden, unter dem das Feuer des Lebens brodelt und über dem der apokalyptische Johannes die Sache der Menschheit verhandelt.

FEUER, EIS, WIND UND MÄNADEN
Brandl, Zöbing am Kamp, Riesling Novemberlese 2003

Funkenschlagen. Feuerwein. Das brennt an den Nasenflügeln, elektrisiert den Gaumen, tanzt auf der Zunge. Bis in die Tiefen der Mitochondrien blitzt es und schmiert deren Maschinen neu. Ist schon Schnee gelegen, damals, auf den Rieden? Wohl kaum, doch ein wenig Raureif mag schon sein. Viel Zeit blieb nicht, der süßen Frucht üppigen Schwall rechtzeitig einzudämmen und Herr zu werden des wilden Stroms der Aromen, die sich, vom der aufgehenden Sonne herabströmend und wohlriechend wie ein Korb tropischer Früchte der Mitte Europas näherten. Dort trafen sie dann auf verhaltene Witterung, karges Gestein und von Aiolos geschickt ferngesteuerte Winde. Selbst vor dem Musenhain kannte der Wind keinen Halt und lüpfte die gestärkten Brusttücher weiser Damen. Plötzlich durchdrang ein bislang ungekannter Odem den Parnass, der bitterzarte Duft der Pampel-Musen. Und die Musen begannen zu tanzen, sich selbst vergessend und tändelnd, als handelte es sich um Mänaden.

FAUN
Setzer, Hohenwarth, Weinviertel DAC Grüner Veltliner Eichholz, 1. Lage 2003

L´Après-Midi d´un faune - der Nachmittag eines Fauns. Erste Assoziation: Debussy. Zweite Assoziation: Önologischer Pointilismus. Andererseits: Was treibt ein Faun im Weinviertel? - Ach, da wüsste ich mir schon eine Reihe lohnender Tätigkeiten: Nachstellen, Aufstampfen, Entblößen, Vereinigen, Genießen. Dazu bedarf´s keines Hermann Nitsch und auch nicht allzu viel phallisch-faunischer Phantasie. Allein: Diesem Wein eignet nicht nur Eros, sondern auch Thanatos. Thanatos, der Tod? - Das klingt böser als es ist. Denn der Wein und der Tod waren einander stets auf ähnliche Weise nahe wie der Tod und die Liebe, wie Tristan und Isolde. Wenn´s dem Faun einmal an den Kragen geht, so wird er innerlich jauchzen, wenn der letzte Schluck, der seine Lippen befeuchtet, einer wie dieser ist. Und ein Faun dieser Art steckt, glaubt mir, in allen von uns, selbst den Fauninnen.

PUTTO
Eichinger, Strass im Strassertal, Grüner Veltliner „Goliath” 2003

Nein, Goliath ist mir das keiner, dieser dumme, mit seinen Muskeln protzende, von überschüssigen Kräften strotzende Riese. Allerdings: David ist mir das auch keiner, der kleine Drahtige mit der Steinschleuder, der listig gezückten. Ich sehe den Wein, und schon bevor ich ihn koste, erscheint er mir als ein Putto, ein barockes Blattgoldengelchen, mit tanzenden Glanzlichtern, die durch die Sonnenstrahlen aus den hohen Kirchenfenstern erst so richtig ins kristallene Funkeln geraten. Pausbäckig ist er, der Engel, und der Atem, den er einem aus dicken Wangen entgegen bläst, riecht nach Nektar und Ambrosia, nach güldenen Äpfeln und den verbotenen Früchten des Paradieses. Doch halt: Der Engel ist nicht geschlechtslos. „Cospetto, che odorato perfetto!” würde Leporello, seiner ansichtig, ausrufen. Und Don Giovanni würde antworten: „Mi pare sentire odor di femmina...!” Etwas banal übersetzt: „Mich deucht, da schleicht ein Weib heran.”

OCHS
Buchegger, Gedersdorf am Kamp, Grüner Veltliner Unfiltriert, Reserve Leopold 2003

Was kann Wein mehr als Wein sein? An der Sonne getrocknetes Linnen? Ein Kinderbuch-Vampyr, der noch übt? Eine Klaviatur mit Tasten, abgeschrägt wie ein Dum-Dum-Geschoß? Fraglos ist der Wein unfiltriert, klar und durchsichtig ist er dennoch. Machtvoll ist er auch, die Idee eines großen Veltliners auf die Spitze treibend und dennoch nicht der Versuchung anheim fallend, im Meer des süßen Fruchtschwalls seine Identität zu verlieren. Trotz aller Größe ist etwas Bauernschlaues in diesem Tropfen, oder besser: Bauernbarockes. Diese rustikale Opulenz bunt bemalter Kästen, dicker Trambalken oder rundhölzerner Beichtstühle, in denen ein dicker, aber freundlicher Pfarrer drei Vaterunser und drei Avemaria als Buße aufgibt und einem gnädig das Credo erlässt. Wie hieß er doch gleich, der Büßer? ¬-„Leopold mir gengan” verabschiedet man sich diesem Wein, wenn er einmal zur Neige geht, nicht ohne Bedauern, ja sogar mit vielleicht etwas plumper Liebe. Und fühlt sich dabei wie der Ochs mit einem „lerchenauisch Glück.”

DORFGESCHICHTE
Aichinger, Schönberg am Kamp, Grüner Veltliner Alte Reben 2003

Früher einmal, da hatte jedes Haus im Dorf eine Dörrkammer. Da wanderte alles hinein, was fleischig, prall und prächtig war, ja so fleischig, prall und prächtig, dass man es unbedingt über den Winter bringen wollte. Dafür nahm man in Kauf, dass es weniger fleischig und weniger prall wurde, aber eben immer noch prächtig blieb. Nein, keine Angst, dieser Wein wurde nicht gedörrt. Dennoch gemahnt er in seiner üppigen und alkoholschweren Trockenheit an eine Frucht, die sich bis auf den Sukkus des Fleisches, den konzentrierten Saft, reduziert hat, oder - für jene, die es lieber literarisch mögen - wie ein Roman, dessen Inhaltsangabe schon so spannend ist, dass man ihn im Grunde gar nicht mehr zu lesen braucht. Welcher Art dieser Schönberger Roman ist, darüber ließe sich nun trefflich spekulieren. Nein, trotz etwas üppiger Metaphern ist es sicher kein Historienschinken, trotz bemerkenswerter Spannung kein Krimi, und trotz nicht zu leugnender Tiefe kein Psychodrama. Vielleicht ist es auch gar kein Roman, sondern nur eine melancholische kleine Geschichte, eine Novelle, die zweifellos von der Liebe handelt. Ja, Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe”, das könnte genau so eine „Geschichte aus der Flasche” sein.

CHINESEN IM WEINGARTEN
Thomas Leithner, Langenlois, Grüner Veltliner 2003 Privat

Hier muss ein Marillendieb zu Werke gegangen sein, der die Venusfrüchte aus Willendorf bei Nacht und Nebel in den Schatten des hl. Steins verfrachtete. Wahrscheinlich hat er sein Verbrechen genossen und sich anschließend auch noch mit einem Wiener Wäschermädel unter einem Marillenbaum auf einer Marzipanmatte gewälzt. Wen wundert´s, dass aus diesem Tropfen zuletzt Blütennektar wurde, allerdings einer mit sanfter Pfirsichhautabreibung, die wie von einer verirrten Zahnbürste stammend über das Gaumensegel streift und die Geschmackspapillen nolens volens zum widerborstigen Sprießen bringt. Auf einem der Äste des Marillenbäumchens sitzt Gott Amor und schießt seine Pfeile im Dauerfeuer auf die umliegenden Weingärten ab, in denen, scheint´s, nur ChinesInnen als WeingartenarbeiterInnen beschäftigt sind. Sie pflücken und lesen im Chop-Suey-Chor, und da sie noch nicht wirklich Deutsch gelernt haben, singen sie in ständig wiederkehrenden Rhythmen „Sweet and Sour, Sweet and Sour”, und Dionysos stampft mit seinem Bocksfuß den Takt dazu.

GAZE
Steininger, Langenlois, Rieslingsekt 2002

Wenn am Theater etwas gezeigt, aber dennoch verfremdet werden soll, so lässt man einen Zwischenvorhang aus Gaze über den Guckkasten gleiten. Der gibt durch Millionen winziger Poren den Blick auf das Bühnengeschehen frei, lässt aber dem Regisseur die Möglichkeit, den Blick des Betrachters durch Lichteffekte, buntes Fluoreszieren und phantasievolle Projektionen zu beeinflussen. Am Geschehen auf der Bühne ändert sich dadurch nicht das Geringste, an der Wahrnehmung durch den Betrachter sehr wohl. Ähnlich verfährt man zu Langenlois mit den Rieslingweinen. Sie sind das eigentliche Stück, das gespielt wird. Da fehlt es nicht an großen Gesten und großen Gefühlen, nicht an des Urmeers und der Liebe Wellen, aber auch nicht an windstillem Verweilen und inniger Tiefe. Doch dann kommt die Gaze ins Spiel und legt einen dicht gewirkten Vorhang von Millionen Bläschen über die Handlung. Die ändert sich dadurch nicht, doch über das Stück, das gespielt wird, weht plötzlich ein Hauch von frischem, völlig unerwartetem Esprit.

6 Kommentare | Kommentar abgeben

Neue Kommentare

--- 04.09.18 @ 20:56
Über eine Monokultur aus Klonen künstlich geschaffener Lebewesen – über den Weinbau / PICCOLO: Aus einem alten "Spiegel" Artikel 30.10.1978 - Deutsche Winzer ziehen der Biene wegen den Zorn des Waldgängers Wellenstein auf... [mehr]

--- 04.11.17 @ 09:30
Über würdige, reife Weine / schischi: Mein persönliches Highlight - Uns hatte einmal ein Winzer, das muss so um 2010 gewesen sein, einen Weißwein... [mehr]

--- 09.10.17 @ 20:27
Was Chemtrail-Glaube und Biodynamischer Weinbau eint / OberkllnerPatzig: Feuer - Was man womöglich noch hinzufügen kann ist, dass manche Winzer, die sich rühmen,... [mehr]

--- 18.04.17 @ 12:49
Rauf die Preise! / PICCOLO: Schnell kommt man ans Bildermalen... - Doch schwer an Leute die es bezahlen. So salopp sagen, die Preise sollen rauf,... [mehr]

--- 13.10.16 @ 13:42
Rauf die Preise! / Meidlinger12: Beisl - z.b. das Quell kann noch immer das große Gulasch um 6,90 anbieten. Muß aber... [mehr]

Blogs Archiv

Peter Gnaiger's Sternen-Logbuch --- 04.08.07 @ 20:16
Tischgespräche --- 11.05.07 @ 11:48
Das Gastlog --- 04.09.06 @ 16:45
Das Weinlog --- 25.04. @ 13:29
Christoph Wagner's Weblog --- 04.02.06 @ 13:33

SPEISING Suche
suchen!
Gesamtkarte
Lokal finden
suchen!
?ber uns | Sales | Kontakt | Impressum | Presse | Partner
JPETo™ Content Management System
design by
DMC

Diese Website verwendet Cookies, um die angebotenen Services zu verbessern. Die weitere Nutzung der Website wird als Zustimmung zur Verwendung von Cookies betrachtet. Einverstanden | Mehr erfahren