Home | Blogs | Das Weinlog | 13.04.05

Das Weinlog

13.04.05 @ 17:29

Nachmittag eines Fauns (Eine wahre Geschichte aus dem Weinviertel)

Kommentar abgeben

ausblendenSie müssen eingeloggt sein um diese Option zu nutzen. Falls Sie noch nicht Mitglied von SPEISING.NET sind, können Sie sich hier registrieren.

Der Faun war in der Mittagshitze mit dem Postbus am Retzer Hauptplatz angekommen. Es gefiel ihm, dass das erste Haus, auf das sein Blick fiel, Verderberhaus hieß. Vielleicht, dachte er, war doch etwas dran an dem Gerücht, dass sein Mentor Dionysos vor dem zunehmenden Touristenrummel aus Griechenland nach Norden ins niederösterreichische Weinviertel geflohen war.

Nach den Recherchen, die der Faun angestellt hatte, sollte es hier einen Brunnen geben, aus dem statt Wasser Wein floss. Das klang ganz nach Dionysos. Und die Idee, eine ganze Stadt über einem unterirdischen Kellerlabyrinth zu erbauen, könnte ihn auch gereizt haben.

Der Faun stolzierte über den Retzer Hauptplatz, wobei das grobe Kopfsteinpflaster seinen Bocksfüßen einigermaßen zu schaffen machte. Das, fragte er sich, sollte das neue Arkadien sein?

Noch mehr irritierte ihn allerdings, dass es auf dem ganzen Marktplatz wohl eine Pizzeria, aber keine Schenke gab. Da auch das Fremdenverkehrsbüro geschlossen war, umrundete er den turmartigen Rathausbau in der Mitte des Platzes und stellte fest, dass aus den beiden Brunnen davor ganz normales Leitungswasser floss. Die Kellergewölbe darunter, entnahm der Faun einer schon etwas vergilbten Anschlagtafel, waren wegen Baufälligkeit geschlossen.
Nach einem kleinen Stadtbummel landete der Faun schließlich in einer kleinen Konditorei in der Znaimerstraße. Der Faun hatte das Wort Konditorei noch nie gehört, trat tapfer ein und setzte sich an eines der kleinen Tischchen.

„Kaffee?” fragte ihn die Bedienung.
„Wein”, erwiderte der Faun. „Schenken Sie mir Wein ein.”
„Fremd hier, was?” erwiderte die Bedienung und brachte ihm ein Glas. Der Faun kostete, und der saure Tropfen fuhr durch seine Speiseröhre wie ein Schwert.
„Brrrr”, sagte der Faun.
„Wir haben auch Besseres im Weinviertel”, erwiderte die Bedienung achselzuckend. „Aber Sie sind in einer Konditorei.”
Der Faun fischte ein zerknittertes Schwarzweiß-Foto aus seiner Westentasche, das eine Dionysos-Statuette zeigte.
„Kennen Sie ihn?” fragte der Faun.
„Nie gesehen.” Die Bedienung schüttelte den Kopf. „Aber sein Gesicht erinnert mich an die heilige Kümmernis, drüben im Dominikanerkloster.”
„Die heilige was...?”
„Kümmernis. Aber schauen Sie doch selbst hinüber. Zum Kloster sind es nur ein paar Schritte.”
Der Faun zahlte, obwohl er den Wein nach dem ersten Schluck nicht mehr angerührt hatte.

Es war nicht schwer, die heilige Kümmernis zu finden. Sie sah Dionysos tatsächlich ähnlich, hing Mitleid erregend an einem Kreuz, hatte durchaus weibliche Formen, trug aber einen Bart. Vor allem aber fiel dem Faun auf, dass einer ihrer Füße entblößt war.
„Wie siehst denn du aus?” fragte der Faun die Heilige.
„Christianisiert, merkst du doch”, erwiderte Dionysos. „Aber ich glaube, Apoll steckt dahinter. Der hat wahrscheinlich auch die ganze Legende erfunden.”
„Was für eine Legende?”
„Die von der heiligen Kümmernis. Wilgefortis soll sie tatsächlich geheißen haben und die Tochter eines Heidenkönigs gewesen sein.”
„Eine Mänade?” fragte der Faun neugierig.
„Ach was”, erwiderte Dionysos und spuckte in seinen Bart. „Im Gegenteil: Sie trat zum Christentum über und betete, als ihr Vater sie mit einem anderen Heiden verkuppeln wollte, mit Erfolg darum, ihr einen Bart wachsen zu lassen.”
„Steht dir aber nicht schlecht”, sagte der Faun. „Und hat sie geheiratet?”
„Natürlich nicht”, zischte Dionysos von oben herab. „Ihr Vater ließ sie zur Strafe kreuzigen.”
„Die Idee könnte von dir sein”, sagte der Faun.
„Verarsch mich nicht”, erwiderte Dionysos.
„Und was ist mit dem nackten Fuß?”
„Während das Mädchen gekreuzigt wurde, spielte ein Musikant auf, und sie warf ihm zum Dank einen ihrer goldenen Schuhe zu.”
„Ganz schön bocksfüßig, die Geschichte, falls sie wirklich von Apoll stammt”, sagte der Faun, mehr bewundernd als mitleidig. „Und dann haben sie dich hier hängen lassen?”
„Ist ja kein Geheimnis”, nuschelte Dionysos in seinen Bart, „dass auch die Christen Opfer mögen, und Götter opfern sie besonders gern. Denk an Jesus.”
„Klar”, stimmte ihm der Faun zu. „Und eine Weingegend ist es auch.”

Der Faun verabschiedete sich von seinem einstigen Mentor und verließ mit schnellen Schritten das Retzer Dominikanerkloster.

Der Bruder Pförtner schwört bis heute, dass er dabei einen goldenen Schuh trug.

2 Kommentare | Kommentar abgeben

13.04.05 @ 00:28

Schweinebäuche

Kommentar abgeben

ausblendenSie müssen eingeloggt sein um diese Option zu nutzen. Falls Sie noch nicht Mitglied von SPEISING.NET sind, können Sie sich hier registrieren.

Weltweit erwarten, wie schon seit vielen Jahrzehnten, auch dieses Jahr wieder hunderttausende Schweinebauchliebhaber gespannt die Ergebnisse der alljährlich in Chicago (Illinois) stattfindenden, durch internationale Experten durchgeführten Schweinebauchprüfung.

In der vergangenen Woche wurde in einer Reihe von Proben die Qualität der diesjährigen Produktion geprüft und Muskelfleischanteil, Ranzimat-Wert, Zucht- und Geneigenschaften, die Faserigkeit des Fleisches sowie die weiteren Qualitätsfaktoren der noch weitgehend unfertigen Schweinebäuche der unterschiedlichen Produzenten gegeneinander verkostet und die erzielten Resultate mit der Produktion der vergangenen Jahre verglichen.
Aufgrund der klimatischen Verhältnisse waren die Hoffnungen jedoch von vorneherein etwas gedämpft und keiner der Teilnehmer erwartete einen ähnlichen Hype wie im letzten Jahr, als die Produzenten nach euphorischen Bewertungen der maßgeblichen Experten die Preise ihrer Angebote in zuvor nie gekannte Höhen schrauben konnten.

Und so war es nicht erstaunlich, dass der Andrang der Zwischenhändler deutlich geringer ausfiel als in den Jahren zuvor. Die meisten der sonst regelmäßig kommenden Teilnehmer hatten ihre Besuchsdauer auf ein oder zwei Tage gekürzt oder sogar gänzlich auf einen Besuch verzichtet. Bis jetzt ist es auch unsicher, ob die wohl mit Abstand einflussreichste Autorität in Sachen Schweinebauch, Albert N. Papermate, so wie erstmals im Jahr 2003 auch 2005 auf einen Besuch verzichten wird oder ob er seine Bewertungen doch noch rechtzeitig zur diesjährigen Pork Belly Campaign veröffentlicht.
Die Bewertungen Papermates haben alljährlich entscheidenden Einfluss darauf, ob und zu welchen Preisen die Schweinebauchkäufer weltweit bereit sind, bereits jetzt entsprechende Warentermingeschäfte abzuschließen und die geforderten Zahlungen zu leisten oder doch lieber darauf spekulieren, zu dem Zeitpunkt, zu dem der dann fertige Bauchspeck dann tatsächlich auf den Markt kommt zu günstigeren Kursen kaufen zu können.
Zwar ist es so, dass die Produkte einiger Boutique-Farmen später nur schwer zu bekommen sind und der Käufer bei Eingehung eines Terminkontraktes auch Einfluss auf die Stückgröße nehmen kann, aber dies betrifft stets nur einen geringen Teil der Produktion, und die weitaus meisten Bäuche lassen sich auch Jahre später zu kaum oder gar nicht gestiegenen Preisen erwerben. Zusätzlich vermeiden spätere KäuferInnen auch die Unwägbarkeiten der weiteren Entwicklung der Schweinebäuche bis zur endgültigen Auslieferung.

Nach ersten Informationen der prüfenden Experten, ist in diesem Jahr keine der vier wichtigen Regionen (Chicagoland, Central Illinois, Little Egypt oder Driftless Area) durch die Wetterbedingungen besonders bevorzugt oder benachteiligt worden. Es lässt sich jedoch feststellen, dass die Qualitäten von „Ossabaw Island” aufgrund der für diese Rasse spezifischen längeren Freilandhaltungsnotwendigkeit durch die frühen ersten Schneefälle des vergangenen Jahres etwas schwächer ausgefallen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Züchter angesichts der Witterung zu früh beschlossen, die Tiere auf Stallhaltung umzustellen. Diejenigen jedoch, die das Risiko eines Totalverlustes in Kauf nahmen und die Tiere trotz des ersten Kälteeinbruchs im Freien ließen, wurden durch den nachfolgenden Altsäuesommer belohnt. Die Halter von „Mulefoot” - Schweinen waren durch die frühere Erreichung des Schlachtgewichtes dieser Rasse weniger vom herbstlichen Schlechtwetter beeinträchtigt.

Im Detail weiß das das Magazin „Bellyspector” zu berichten, dass die Farmen Lafitner, Ausonics, Margo, Palminger, Los Missiones und insbesondere Rose Mountain auch dieses Jahr wieder unter den Besten zu finden seien. Ganz allgemein scheinen die Zwischenhändler jedoch auch bei signifikant reduzierten Preisen von einem deutlichen Rückgang des Interesses an Warentermingeschäften auf Schweinebauch auszugehen und ihrerseits die Anzahl vorgeorderter Kontrakte - sowohl was die Anzahl der Erzeuger als auch was die jeweiligen Mengen betrifft - deutlich zu reduzieren.

Daran dürfte auch die Ankündigung des Scheunenfarmers John-Lucas Tunapork („Val and Drough”) wenig ändern, obwohl dieser versprach, den Preis für Kontrakte auf seine (stets hochpreisigen) Schweinebäuche gegenüber dem Vorjahr um nahezu 50% zu senken.

Wir dürfen dennoch gespannt den weiteren Verlauf der Campaign verfolgen.

Unabhängig davon plant das Generalgouvernement, wie aus wohlinformierten Kreisen zu vernehmen ist, bereits die Einrichtung einer eigenen Speising-Sektion um auch den hiesigen SchweinebauchliebhaberInnen eine Plattform zu bieten. Als Name soll „Schweining” oder „Schweinebauching” zu Diskussion stehen.

3 Kommentare | Kommentar abgeben

Neue Kommentare

--- 04.09.18 @ 20:56
Über eine Monokultur aus Klonen künstlich geschaffener Lebewesen – über den Weinbau / PICCOLO: Aus einem alten "Spiegel" Artikel 30.10.1978 - Deutsche Winzer ziehen der Biene wegen den Zorn des Waldgängers Wellenstein auf... [mehr]

--- 04.11.17 @ 09:30
Über würdige, reife Weine / schischi: Mein persönliches Highlight - Uns hatte einmal ein Winzer, das muss so um 2010 gewesen sein, einen Weißwein... [mehr]

--- 09.10.17 @ 20:27
Was Chemtrail-Glaube und Biodynamischer Weinbau eint / OberkllnerPatzig: Feuer - Was man womöglich noch hinzufügen kann ist, dass manche Winzer, die sich rühmen,... [mehr]

--- 18.04.17 @ 12:49
Rauf die Preise! / PICCOLO: Schnell kommt man ans Bildermalen... - Doch schwer an Leute die es bezahlen. So salopp sagen, die Preise sollen rauf,... [mehr]

--- 13.10.16 @ 13:42
Rauf die Preise! / Meidlinger12: Beisl - z.b. das Quell kann noch immer das große Gulasch um 6,90 anbieten. Muß aber... [mehr]

Blogs Archiv

Peter Gnaiger's Sternen-Logbuch --- 04.08.07 @ 20:16
Tischgespräche --- 11.05.07 @ 11:48
Das Gastlog --- 04.09.06 @ 16:45
Das Weinlog --- 03.05. @ 09:33
Christoph Wagner's Weblog --- 04.02.06 @ 13:33

SPEISING Suche
suchen!
Gesamtkarte
Lokal finden
suchen!
?ber uns | Sales | Kontakt | Impressum | Presse | Partner
JPETo™ Content Management System
design by
DMC

Diese Website verwendet Cookies, um die angebotenen Services zu verbessern. Die weitere Nutzung der Website wird als Zustimmung zur Verwendung von Cookies betrachtet. Einverstanden | Mehr erfahren