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Das Weinlog
19.05.05 @ 21:17
Politically correct
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seit einigen Tagen wird in einem gutbesuchten US-Amerikanischen Wein-Forum höchst emotional darüber diskutiert, ob es noch zulässig sei, die Weine des renommierten burgundischen Weinguts "Domaine de Montille" zu kaufen bzw. zu trinken. Grund ist, dass dessen Senior-Chef Hubert vor einigen Monaten auf die Frage wie es ihm gehe erklärt hatte, seit 9/11 sei er höchst zufrieden.
Genaugenommen, tat er dies lautstark kund nachdem ihn Pierre A Rovani (Robert M Parkers Co-Autor für's Burgund et al) in einem vollbesetzten Lokal begrüßt hatte.
Die Szene ist weitgehend unstrittig und Montille soll in der Folge auch um Entschuldigung gebeten haben. Wer an den Details interessiert ist, kann diese hier nachlesen.
Diskutierenswert scheint mir jedoch die apodiktische Sicherheit der mehrheitlich amerikanischen Diskutanten zu sein, in Zukunft käme ihnen kein Tropfen eines Weins dieses Gutes mehr über die Lippen obwohl Hubert seit einigen Jahren die Ägiden an seinen Sohn Etienne übertragen hat.
Ich muss zugeben, dass es mir wirklich schwer fällt, hierzu eine definitiven Standpunkt einzunehmen.
Weshalb scheint die Gesellschaft keine Probleme zu haben, das Werk von Künstlern der Vergangenheit, die definitiv Verbrecher waren (z.B: Caravaggio, Cellini, Villon, de Sade) vorbehaltlos anzuerkennen? (Bei Gegenwartskünstlern - wie z.B.: Mühl - ist es schon etwas weniger eindeutig.)
Aber wenn ein emeritierter Winzer einen reichlichen schlechten Scherz macht (das scheint zumindest nach der Schilderung Rovanis nahe zu liegen), dann wird die Keule der politischen Korrektheit ausgepackt.
Und wo ist die Grenze? Reicht es den Bäcker nach seinem Leumundszeugnis zu fragen, oder sollte ich sicherstellen, dass der nette Winzer im Burgund zuletzt auch sicher nicht Le Pen gewählt hat? Muss ich gar überprüfen, ob der Fleischhauer meines Vertrauens einer schlagenden Verbindung angehört?
Und ist es nicht reichlich verlogen, sich (so wie ich) kaum um charakterliche Defizite von Lieferanten zu scheren, aber dann wenn sie mehr oder minder zufällig doch offenbar werden, zumindest ein schlechtes Gewissen zu bekommen?
Oder ist das alles eh nur eine amerikanische Eigenheit?
12 Kommentare | Kommentar abgeben
noapino, 25.05.05 @ 13:01
@pastinake
Ich seh's auch so, dass es nicht viel mit PC zu tun hat, wenn man man die kolportierte Winzeraussage als im höchsten Maße unangebracht ansieht.
Wird aber darauf bestanden, man müsse deshalb nunmehr die entsprechenden Weine boykottieren, so sehe ich darin schon ein gehöriges Maß an Scheinheiligkeit:
Müsste ich dann nicht auch in meinem Hinterhof ein biologisch gepfelgtes Rapsfeld anlegen, um meinen Wagen mit dem daraus gewonnenen Öl zu befüllen, anstatt auf Produkte aus dem Nahen Osten zu vertrauen?
Die Beispiele ließen sich fortsetzen...
(btw: Die Ansicht betreffen Produktionsbedingungn teile ich voll und ganz.)
ml, 25.05.05 @ 11:47
ml
ich habe mich oft gefragt, wie ich mich zu überzeugten Nazis stellen soll, welche auch in der 2. Republik noch hoch angesehene Positionen bekleideten.
Wahrscheinlich ist es schwierig, ein Leben zu führen, in dem ich auf Verletzungen in bezug auf PC mit Konsumverweigerung reagiere. Vielleicht müßte ich verhungern. Es wäre gar nicht so leicht, sich beim Urlaub auf dem Bauernhof mit Nahrung zu versorgen.
Ich stimme den Vorrednern zu, welche die Entscheidung darüber jedem einzelnen überlassen wollen.
Stimmungmache, wie sie im Forum passiert, zeigt jedenfalls auch nicht von PC. Und damit ist das Thema ja bereits müßig.
pastinake, 24.05.05 @ 11:48
Ausdruck von Nationalismus
Ich denke, die Reaktion mancher Amerikaner auf den 9/11-Spruch ist nicht von PC bestimmt Niemand darf sich über das Leid der Amerikaner lustig machen. Das ist, wie die Ächtung von French Fries und Champagner ein Ausdruck von fundamentalistischem Nationalismus, den ich dumm finde. PC kann zwar auch übertrieben werden, aber grundsätzlich ist sie etwas Positives. Ob man die Weine eines Winzers, der geschmacklose Witze macht, trinkt, sollte die freie Entscheidung jedes Einzelnen sein. Eindeutig wird es für mich bei Genussmitteln, die mit menschlicher oder ökologischer Ausbeutung hergestellt werden, diese sind im wahrsten Sinn des Wortes "geschmacklos" (FairTrade-Werbung). Das möchte ich auch auf den unerträglichen "Geiz ist geil"-Trend beziehen, der viel Negatives bewirkt. Wie positiv sich guter Geschmack, Ökologie und ökonomischer Gewinn verbinden lassen, zeigen Slow Food-Projekte, wie z. B. Lardo Collonata.
pastinake, 24.05.05 @ 11:24
@bigler
Entweder bin ich zu blöd um Ihren Kommentar auf PC bezogen zu verstehen oder Sie sind mit Ihrem Statement im falschen Forum?
alma, 23.05.05 @ 19:09
Künstlerische Freiheit
Ich habe mir den transatlantischen Diskurs angesehen, dabei den ursprünglichen Thread zu Monsieur le Montilles gekränkter und kränkender Aktion gefunden - und eine nicht minder erkleckliche Posting-Anzahl zur Geschichte mit der großbusigen Japanerin, die Mr. Parker ansprang ...
http://tinyurl.com/bobj7
Anyway, es werden Künstler genannt, die trotz menschlicher Defizite zu großem Ruhm gelangten und ihn auch nachhaltig wahren - "ja ja, er ist halt ein Künstler" als beliebter Entschuldigungssatz bei Unschicklichkeiten könnte auch dem in den Künstlerstand erhobenen Winzer treffen, würde Weinmachen nicht als Geschäft, sondern als Kunst gesehen.
Den selbstmitleidtriefenden Statements zu 9/11 mit Wille zur Burgundervernichtung möcht man ja zu gern kleine Zahlenspiele gegenüberstellen .... so im globalen Zusammenhang ....

--- 04.09.18 @ 20:56
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Tischgespräche --- 11.05.07 @ 11:48
Das Gastlog --- 04.09.06 @ 16:45
Das Weinlog --- 24.07. @ 11:56
Christoph Wagner's Weblog --- 04.02.06 @ 13:33
