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Christoph Wagner's Weblog

26.10.05 @ 18:14

Weltmarktstrukturküche

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Auf der Frankfurter Buchmesse hatte ich wieder einmal Gelegenheit, mit dem von mir sehr verehrten Professor Rolf Schwendter zu plaudern, einem in Kassel lehrenden Philosophen und Devianzforscher („Theorie der Subkultur”, „Arme essen - Reiche speisen”), der nach „Schwendters Kochbuch” sein jüngstes Oeuvre unter dem Titel „Vergessene Wiener Küche” dem Thema „Kochen gegen den Zeitgeist” (Promedia-Verlag) gewidmet hat.

Schwendters Grundthese: Die sich zunehmend durchsetzende „Weltmarktstrukturküche führt zum systematischen Verschwinden der regionalen Küchen und katapultiert gleichzeitig so genanntes internationales Essen auf möglichst alle Speisepläne dieser Welt. Örtliche Kochkunst gerät dabei in Vergessenheit, Ingredienzien werden tabuisiert oder verboten, übrig bleiben folkloristische Versatzstücke."

Präziser kann man das nicht formulieren. Und wenn es zurzeit einen Küchentrend gibt, so lässt er sich am ehesten mit der fast kulturkämpferischen Stimmung umschreiben, mit welcher sich unter Köchen und Gourmets eine „Designer-Fraktion” unter dem Banner von Köchen wie Ferran Adrià und Heston Blumenthal einerseits und eine (im politischen Sinn ganz und gar nicht reaktionäre) „Retro-Fraktion" andererseits herausbildet, die noch nach Gallionsfiguren sucht.

Professor Schwendter, meine ich, wäre für eine solche bestens geeignet.

36 Kommentare | Kommentar abgeben

apicius, 29.10.05 @ 22:44

@ Freunde!
Kochen gegen den Zeitgeist: „Gallionsfiguren des Retrolooks”

Um diesen metaphorischen Begriffen zu genügen reichen ein paar Sätze nicht. Ebenso verwende ich gewisse o.von minimalist angef. Begriffe, welche wie Ziegel in einer imaginären Architektur stecken, deren Name „Meine gastronomische Weltanschauung” ist. Dazwischen ist aber genug Gedankenbeton und Geschichtsmörtel aus eigener Erfahrung und von strengen Chefs eingebleuten Vorstellungen. Ich messe diesen Dingen aber nie diese pathetische Bedeutung zu, die mir hier nachgesagt wird.

Danke, Danke, es hat mich trotzdem gefreut!

Sobald man diese Gedankenreihe fort vom realen Geschehen in eine meditative Phase bringt ist es bedeutungslos. Aber es wirkt induktiv logisch und stellt neue Bezüge her.

Die wirklich guten Kochbücher werden sicherlich wieder von Nicht-Köchen geschrieben. Ein kühler, sachlich ordnender Geist, ein Selbstdenker wird es sein müssen. Sicher ein Buddhist.

Die Männer und Frauen welche Kochkunst als ihr Gewerbe betreiben erscheinen wie Sommervögel die uns vom Winter erzählen. Sie sind gefangen von ihren Einbildungen……

Denn was bleibt von diesen großen Ansprüchen etwas Neues zu erschaffen? Schaut Euch bitte an was aus der „Nouvelle Cuisine” geworden ist. Viele Speisen werden heutzutage nach dieser Industrienorm erkannt!

Frisches Brot rechnet man unwillkürlich dem Tiefkühlonkel zu. Mousse au Chocolate muss mit dem Löffel zu Nocken gestochen schleimig glänzend am Teller liegen.

Was mich immer wieder wundert ist, dass es dem Feinschmecker das „WIE GEMACHT?” Völlig egal ist. Hauptsache es schmeckt.
Alexandre Dumas bemerkte schon: Du bist nicht was Du isst – Du bist was Du verdaust.

Zur letzten Frage:

Ich mache alles. Von Schmetterlings- bis Deppenküche, erfunden habe ich noch nichts. Würze aber jederzeit den Schweinsbraten nach Art Winnetous. Mache auch Kochkurse, vermarkte mich aber nicht. Meine Bude ist klein, darf ein jeder herein…….

Das war mein letzter Beitrag zu diesem Thema das mich sehr interessiert hat. Danke allen Teilnehmern für die wirklich tollen Aussagen

Minimalist, 29.10.05 @ 16:18

@ apicius, Ferndiagnose 2
ich hoffte, ich sei Ihnen einen mm näher gekommen?!
Aber jetzt möchte ich mich bei jamiesolive unterhaken (ich hoffe er findet das nicht vereinnnahmend).
Wenn Sie sich stetig in ihrem Anti-Qimic, -Rungis, -Hauben/Sterne, -Adria, -Obauer, -SchickiMickiGäste, -Lebensmittelindustrie, -Finanzamt........ Kokon-Panzer verstecken, werden wir nie erfahren, wie Sie als Koch-Schmetterling aussehen. Schillernd, leuchtend, bunt oder mit Tarnfarbe.....?
Ich wünsche mir mehr von Ihren Kochkünsten. zu erfahren. Den "Gestank" der Welt rieche ich selbst (manchmal).

apicius, 29.10.05 @ 14:55

Das Wort Gallionsfigur...
..hat´s mir einfach angetan. Überall versucht man doch solche "Leuchter" aufzustellen. Nur wer in seinem Alter jetzt ein wenig zurückschaut, was sieht er da? Unsere Jugend lehnt das ab. Es grassiert der Punk... Die "Spießerei" ist auf dem Rückzug. Seriöse Gallionsfiguren findent man kaum.....

Die Gastronomie und damit die Feinschmeckerei ist ein Tummelplatz vielschichtiger Interessen. Daran finde ich nie etwas Schlechtes. Ich gestehe Jedem Tierschen sein Plaisierchen zu. Uneingeschränkt. Ich verachte niemanden. Ich stelle meine Ansichten dar. Ich kann irren. Ich darf Betrachtungen anstellen. Was ich sehe glaube ich.

Gottseidank haben wir unserer Sparte noch keinen Militarismus! Aber Sektenähnliche Überzeugungen orte ich hin und wieder schon. Und eine gewisse Einmütigkeit und Einheitsrichtung auch. So wie es halt hinter Gallionsfiguren aussieht.

Übrigens der vielzitierte Adriá könnte ohne Riesenaufwand aus der Lebensmittelidustrie kaum einen Muckser machen. Seine große Wirksamkeit ist natürlich auch sehr subtil gelagert und sehr potent Zielgerichtet. Sogar die spanische Gewerkschaft rührt keinen Finger an ihm. Das will was bedeuten!!

Aber dannach hat mich ja keiner gefragt.

Ich wünsche euch ein angenehmes Wochenende. Es gibt schöne Fernsicht und auf 2000Meter solls 20 Grad haben...

jamiesolive, 29.10.05 @ 12:46

ferndiagnose
ich weiß, der herr bm hat hobbypsychiatrische ferngutachten in diesem forum verboten. ich versuch´s aber trotzdem: nach lektüre zahreicher (oder eigentlich aller) beiträge des herrn apicius glaube ich weder, dass er ein charismatischer weltverbesserer wie rudolf steiner noch ein messerscharf analysierender pessimist von karl kraus´schem zuschnitt ist. er ist einfach einer, der (vermutlich zum besten seiner eigenen psyche) gern und viel schimpft — und somit ganz ausgezeichnet in seine österreichische heimat passt. (wer jetzt einwendet, das treffe auf elfriede jelinek auch zu, dem halte ich entgegen: die schimpft einfach wesentlich geschliffener.)

profiler, 29.10.05 @ 12:35

@ apicius
in allem und überall kafkamässige bedrohungen, intrigen und seilschaften zu sehen kann auch krank machen....
ich bin vielmehr der meinung, dass sich die medialen vergrösserungsgläser deshalb auf die bekannten focussieren, eben weil sie gross sind und die meissten von ihnen durch eigene leistung gross geworden sind. zu glauben, jeder bekannte name hat ein mäzen im hintergrund, ist absurd. ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die böse lebensmittelindustrie irgendein unbekanntes würstl rauspickt um ihn "gross raus zu bringen" und am ende steht dann, gewissermassen als endprodukt ein petz, obauer, maier oder was weiss ich wer da.

mich würde interessieren, ob sie, guter apicius, ihren eigenen moralischen ansprüchen selbst genügen würden, wenn sie sich selber von aussen betrachten könnten.....


gruss

sonjaaa, 29.10.05 @ 11:51

nanana
Dass mir da nicht gleich der Kragen platzt! Eine solche Ablehnung der ganz Grossen ist schon ziemlich eigenartig - es kommt einer Ablehnung, bzw "Krankschreibung" von Leuten wie Platon, Nietzsche, Schiller, Einstein, Gandhi, Rodin,... gleich. Erinnert mich schon ein Bisserl an die alte These, dass Supermodels dumm weil schoen sein muessen, David Beckham schlecht spielt oder Rockmusik nur dann gut ist, wenn s kein anderer kennt. Was waere die Musik ohne den legendaeren Bruce Springsteen, den grossartigen David Bowie oder den umjubelten Mozart. Diese Leute waren und sind alle gross, und sie stehen noch dazu den Medienhype und alle Formen der Diplomatie durch, die sie als beruehmte Vertreter ihrer Zunft durchstehen muessen. Alles andere ist - mit Verlaub - entweder Kopie oder die Kaffee Alt Wien Variant: Was waer net aus mir g´worden, wenn net...

Oder um s vertraeglicher zu formulieren: H & M produziert, was Tom Ford, John Galliano oder Yoshi Yamamoto in der Saison davor mit sehr viel Muehe entwickelten.

Man mag von Adria halten was man will (ich selbst habe leider noch nie einen Tisch bekommen), aber er ist und bleibt einer derjenigen, die an Erneuerungen interessiert sind, Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen suchen und ihre Ideen mit viel Selbstvertrauen vertreten. Und das ist auch gut, fuer die gesamte kulinarische Landschaft!

Solche Leute mit Sportsklaven zu vergleichen ist nicht einmal mehr unhoeflich!

apicius, 29.10.05 @ 11:03

Gallionsfiguren und so...
... für Fundamentalisten sind das nur abschreckende Beispiele. Für das Foodmarketing Geldscheisser. Für mich sind solche Personen reine Vorzeigedeppen die sich damit ihr Privatleben versauern, auch Ausdruck einer "faschistoiden" Grundhaltung in der Wirtschaft. So wie ein Vorturner in der ehemaligen DDR oder in China. Diese Leute werden mit medialen Vergrößerungsgläsern aufgeblasen, bis sie wieder im eigenen Halo verschwinden.
Beispiel W. Siebeck: Wer ihn heuite liest und vor zehn Jahren das geglaubt hat was er dazumal schrieb muß sich veräppelt vorkommen.

Die "SUCHT" nach Neuem macht auch krank.

Minimalist, 28.10.05 @ 15:44

@apicius
in sweetened milk? da muss ich passen. Aber sonst liebe ich die Räucherheringe, vor allem zum Frühstück. Da muss ich aber nach Mittelengland. Ist in London nicht sooo einfach.
Aber vielleicht schaff ichs ins "St. John" (gleich neben dem "Smithfield" Fleischmarkt). Da gibts "Chitterlings" (mit Innereien gefüllter Darm) und Beef garantier 26 Tage abgehangen.
Übrigens, eine ehemalige Fleischhackerei, schneeweiss gestylt, ziemlich zeitgeistiges outfit, aber himmlische "Schweinereien".
100 m weiter ein Gascogner Feinkostladen mit üppigen Terrinen zum Frühstück.
Aber, fixe Reservierung im "The Red Fort", indisch.
http://www.redfort.co.uk/mains.htm

Ich liebe die Londoner Vielfalt

Noch eine persönliche Bemerkung. Sie sind sicher ein ausgezeichneter Koch. Aber ich bin ein hoffnungsloser Optimist. Und schrecklich grob. Deshalb haben wir es schwer miteinander.

apicius, 28.10.05 @ 15:02

minimalist..
... ich stelle eine fast 100 prozentige Übereinstimmung fest. Sie schreiben das nur viel besser als ich. Wenn der Mensch sich seine Freiheit bewahrt wird es Alles Immer geben. Essen Sie auch Kippers in sweetened milk?
Cheers!

Minimalist, 28.10.05 @ 12:59

@Hot-Volant
ich bin irgendwie froh, das mein Grossmutter nicht kochen wollte/konnte. Sie musste nämlich meinen Grossvater, einen Schriftsteller, ernähren
("Gott erhalte mir meine Kreativität und die Arbeitskraft meiner Frau").
Ich kann mich (deshalb?) immer noch freuen wie ein Kind, wenn ich eine neue Geschmackserfahrung erleben darf.

Minimalist, 28.10.05 @ 12:02

@apicius
ich versuche jetzt einmal meine Position in Ihr Argumentationsuniversum zu transformieren.
Achtung, das wird rundumschlägig, ungerecht und ärgerlich:
Wenn die abertausenden regional verwurzelten, bodenständigen KöchInnen dorfauf und dorfab das tun würden, was sie vorgeben zu tun, nämlich kochen (und nicht einfach irgendwas, was sie vor der Haustür finden, zusammen zu mantschgern), hätten die Fastfoodler und Fabriksköche nichts zu lachen.
Wenn die aktiven Markteilnehmer in der Gastronomie sich weniger mit Allmachtsphantasien, sondern Sachkenntnis, ökonomischem Grundlagenwissen und Minimal-Kenntnissen des (strategischen) Marketing in das Abenteuer Markt stürzten, wäre diese Branche nicht die am häufigsten durch das Finanzamt gepüfte.

Ich verziehe mich für ein paar Tage in eine der Hauptstädte der Weltmarktstrukturküche. Nach London. Und freue mich schon auf die blitzenden Augen der Köche und Servicebrigaden, die ihren Job mit Freude und grossem Geschick machen. Und besonders auf indisch im cross-over mit französisch mit schottischem sea bass. Oder einfach auf "Steak and Kidney Pie" im nächsten Pub mit ein paar Pint "Old Speckled Hen".
Und diskutiere mit dem Bierzapfer über die ökonomosche Überlegenheit der anglo-amerikanischen Welt und die unendliche Nabelschau der Germanen.

Hot-Volant, 28.10.05 @ 11:52

@Minimalist
"Retroköche sind jene Köche, welche die Genussmöglichkeiten von heute mit den Rezepten von vor 100 Jahren (und früher) erschliessen wollen?"
Da muss ich doch wieder einmal meine Oma heranholen. Die Hat 1905 vielleicht gerade kochen gelernt.
Ich würde mir sehr wünschen, dass sie noch heute nach den gleichen Rezepten kochen könnte.
Ich frage mich da schon manchmal, ob "neue Küche" nicht ein Modetrend ist, der sich dann alle dreissig oder vierzig Jahre wiederholt.
Die Globalisierung hat immerhin dafür gesorgt, dass man auch bei uns Krokodil und Känguruh essen kann.
Also ich oute mich einmal als Retro-konsument.

apicius, 28.10.05 @ 09:43

Romantik...@profiler
Schwendner hat recht. Wer die Richtlinien nach welcher Landwirtschaft in der EU gemacht wird kennt, weiß dass ein internationales Interesse dahinter steckt. Die Entwicklungsländer müssen neue Märkte für ihre Produkte bekommen und das geht nur wenn wir ihre Sachen auch essen. Die EU ist mit ihrer subventionierten Landwirtschaft gezwungen die hohen Kosten für Förderungen schönfärbiger Naturkonzepten am Ende. Jedes Mangalizaschwein ist subventioniert. Daher werden nicht nur Tierrassen endgültig ausradiert, sondern auch Herstellungstechniken wie beispielsweise bei Milcherzeugnissen verboten. Die Hygienevorschriften für Nahrungsmittelerzeugung kann schon kaum wer einhalten der ein mittleres Restaurant betreibt. Jede Inspektion findet jederzeit strafwürdige Dinge.

Andererseits können Fastfoodläden wo vorgefertigte Ware ausgepckt und endgefertigt werden, immer billiger arbeiten.

Das Essen der Zukunft kommt sicherlich aus der Fabrik, der Koch arbeitet in eigens eingerichteten Museen, denn auch Haushalte werden immer mehr darauf getrimmt, fast ohne herkömmlichen Herd auszukommen. Alles was mit autonomer Nahrungserzeugung zusammenhängt wird einerseits aus Volksmedizinischen und andererseits aus Umwelt- und Finanzinteressens Gründen genau kontrolliert werden.

Es ist ja heute schon so, dass eine kreative täglich wechselnde Speisenkarte den Betriebsprüfern vom Finanzamt ein Dorn im Auge sind. Wie auf jeder Gans bald eine Ohrmarke hängt, werden auch andere Lebenmittel vom Acker bis in die Tüte verfolgt werden.

in cibo et potu

cremant, 28.10.05 @ 08:59

rolf schwendter heute im WUK | Projektraum
manchmal gibt es seltsame zufälle: heute abend um 19:00 hält rolf schwendtner einen vortrag im rahmen der ausstellung www.utopie-freiheit.at die in der kunsthalle exnergasse derzeit stattfindet. der vortrag ist im 2. ausstellungsteil im sog. WUK | proejketraum.

profiler, 28.10.05 @ 08:47

alte rezepte und neue produkte...
ich kann die meinung des herrn schwendters, dass die regionalküche verschwindet und produkte tabuisiert werden, nicht zur gänze teilen.
eine vielzahl meiner kollegen sind, wie auch ich, ständig auf der suche nach produkten und dingen regionaler herkunft. es ist mir auch ein besonderes anliegen einen möglichst "terroirbezogenen" küchenstil zu bieten, mehr oder weniger wie beim weinerzeugen. der gast soll wissen, wo er sich im moment befindet. natürlich gibt es bei mir auch wolfsbarsch oder heilbutt (nur wildfang), aber nur dann wenn es wirklich sinn macht und passt (lässt sich in einer hotelküche nicht ganz vermeiden) und nicht um der internationalität wegen (so nach dem motto: schauts her, ich kenne und kann das auch). dass man heutzutage mit hitze, garzeit, butter, zucker und schlag sorgfältiger umgeht, als in alten rezepten, dürfte auch nicht mehr ganz neu sein. nichts desto trotz koche ich trotzdem am liebsten solche dinge, wie etwa gefüllten ochsenschwanz, geschmorte kalbsbackerl, kalbskopf und die tollen saiblinge etc. etc. die es bei uns hier gibt. ich bin fest davon überzeugt, dass dieser crossover hype und fusion cuisine in absehbarer zeit wieder abflaut und zur gänze wieder verschwindet (ausnahmen wie andre jaeger in schaffhausen dürfen sehr wohl bleiben) zumindest wünsche ich es mir. und wenn ich mich so umschaue, was ringsherum passiert, dann werde ich von der wahrheit nicht ganz weit weg sein.


gruss

apicius, 27.10.05 @ 22:29

Retrokoch P. Bocuse ?
Ich habe P.Bocuse dreimal erlebt. Einmal etwa 1974 in einem privaten Film. Der handelte von einem "revolutionärem Koch" der morgens mit seinem Motorrad, ich glaube eine Honda Goldwing oder Harley, zum Markt fuhr und daheim dann Forelle Müllerin und Burgunderbraten kochte. Aber völlig anders als alle anderen...

Ich habe nichts verstanden, nur soviel, alle Köche die anwesend waren zeigten Begeisterung. Sein Outfit war rockermäßig.An irgendeiner Stelle des Films sah man dann französische Köche an einem Swimmingpool, einige waren nackt und feierten.
Garniert mit Hippie und Popart kamen kulinarische Botschaften herüber..
Es war locker und lässig. Wir fühlten uns wie Trotteln mit unserer Arbeitsweise, an der weiterhin nichts geändert wurde. Das zieht bei uns nicht!

Zum zweiten Mal erlebte ich Bocuse in Bahrain, als ich für eine Hotelkette arbeitete, 1979. Ein Vortrag über die Nouvelle Cuisine, garniert mit Bocuse´s Fertigprodukten,Sekt, Büchern usw. Ein F&B Manager aus Italien flüsterte unterm
Vortrag: "Vergiss es! Kommerz!" Die Hotelkette kochte nachher Bocuse Küche mit allen Produkten aus Frankreich.

Zum Dritten Mal Bocuse: Da lese ich ein Interview mit Bocuse Mitte der 90er Jahre. "Die Nouvelle Cuisine" meinte er, "das ist wenig am Teller und viel auf der Rechnung!"

Zum ersten Eindruck: Lässigkeit hat die österreichische Küche immer noch nicht. Und Bocuse hat einfach nur ein Geschäft gemacht.

Minimalist, 27.10.05 @ 18:41

Nach vorn geschaut aber nach hinten orientiert?
profiler, eine zweite frohgemute Verbeugung hält mein alterndes Kreuz heute noch aus, bitte annehmen.
Retro?
Retrolinke sind für mich jene Linke, welche die Arbeitsprobleme von heute mit den Rezepten gegen die schrecklichen Auswüchse der Industriellen Revolution lösen wollen.
Retroköche sind jene Köche, welche die Genussmöglichkeiten von heute mit den Rezepten von vor 100 Jahren (und früher) erschliessen wollen?
Sind wir uns bei Zeitgeist wirklich einig?
Ich glaube, Zeitgeist ist das generelle intellektuelle, moralische und kulturelle Klima einer Ära.
Zugegeben, nach einer Phase der Toleranz (Rassen, Religionen, Sexuelle Identität,.....) sind wir eher in einer Phase, in welcher der Zeitgeist vom Streben nach "leadership" geprägt ist.
Ich glaube aber, da liegen Sie gänzlich falsch, apicius. Kontextbezogene "leadership" (nicht die tyrannische) erreicht man/frau NICHT, durch das Streben ins Rampenlicht, sondern auf der Grundlage des Verstehens zeitbezogener Möglichkeiten und Notwendigkeiten.
Wollte Einstein ins Rampenlicht?

apicius, 27.10.05 @ 18:02

@profiler..sonjaa
...Es ist für Fachleute, ob Koch oder wissender Esser schon wichtig. Aber für die Menschheit sind diese herausgepickten Personen bedeutungslos. Die Zukunft bringt ein immer schneller wechselndes Spektrum an Ernährungsformen. Daß es ein paar bunte Hunde mit bewundernswerten Kreationen gibt ist für die Ernährungssituation von 99,99% der Menschen nicht wichtig. Ob Adriá oder Obauer oder sonstwer, sie würdens wohl nicht machen wenn sie nicht popularisiert worden wären. Normale Leute fahren dort hin, aber hier essen normale Leute anders.
Adriá - typische Entwicklungen sind keine Weiterentwicklung des Essens. Sie sind Retro. Denn dort wird fast alles was für die Ernähreung Gültigkeit hat (Abstimmung zu den Körpersäften - Verdaubarkeit usw) mit Füßen getreten.
Der Mensch ist nicht was er verdaut - er ist was er sich "einbildet".

Bitte nicht beleidigt sein - ist nur meine Meinung.

profiler, 27.10.05 @ 17:34

nachtrag.....
sehr interessieren würde mich, wen das geschätzte gemeindevolk denn so als "retro" betrachtet. über die zeitgeistigen dürfte ja wohl einigkeit herrschen.

gruss

profiler, 27.10.05 @ 17:21

ferran adrias repertoir......
in meiner kochbuchsammlung finden sich zwei bücher von ferran adria. eines davon ist über zehn jahre alt. (die neue küche kataloniens) ich erinnere mich daran, als ich dieses buch gekauft habe und die ersten blicke reinwarf, war mein erster gedanke, dass diese dinge bei uns kein mensch essen würde. heute sieht das ganze schon ein wenig anders aus, wenn man die speisekarten vieler lokale studiert entdeckt man da und dort spuren und anleihen, dieser art der damals von ihm (adria) praktizierten küche. bei uns nennt man das jetzt innovativ und kreativ, in wirklichkeit fast alles nur abgeschaut und nachgemacht.

beim zweiten buch handelt es sich um das letzte werk (el bulli 1998 - 2002)
und fast schon ein deja vu erlebnis, gerichte und sachen die einem schon einen grossen grad an neugier und verständnis abverlangen, selbst mir als einen mit offenen augen durch die branchenwelt wandernden profi. vermutlich wird es so sein, dass in wiederum zehn jahren bei uns diese dinge auf den speisekarten namhafter lokale auftauchen und dann als grosse neue errungenschaft gefeiert werden.

verehrter minimalist, ich kann ihnen sagen, adria, der hat dinge im repertoir, da muss ich leider zugeben
der ist mir um lichtjahre voraus, nicht nur zehn jahre.

gruss

Minimalist, 27.10.05 @ 16:59

auf den Punkt gebracht
sonjaa, ich bitte Sie, meine frohgestimmte Verbeugung anzunehmen.
Aus zweiter Hand (ich habe noch nie einen Tisch ergattert): Adria soll ein himmlisches Sardinengericht (ohne Schnörkel, Gelee und Luft) im Repertoir haben?!

sonjaaa, 27.10.05 @ 14:49

Fragen zum Kulturkampf
Endlich wieder im weblog erlaube ich mir ein paar Fragen:

-Was waere die beruehmte "lokale" Wiener Kueche der Gegenwart ohne internationale Einfluesse? Sprich: Waeren die jungen Reitbauers, Kellners, Matts, Gerers nicht um den Erdball (der war zwar damals noch etwas kleiner) gereist - haetten wir dann die neue feine Wiener Kueche?
- Haette ein Heimandenherd in den Siebzigern das angebliche Beislsterben aufgehalten?

- Ists der Koch oder der Esser, der die Trends ermoeglicht?

- Wo unterscheidet sich die (zweifellos recht feine) internationalisierte Kueche eines R. Gerer oder der Gebrueder Obauer im konzeptionellen Prinzip des Zeitgeist von jener Adrias?

Im Prinzip wage ich nur zu behaupten, dass Adria und seine Kollegen das postmoderne Schielen auf die Vergangenheit Nietzschegleich mit der radikalen Veraenderung beenden wollen. In diesem Sinne duerften noch einige hochspannende Weblogs zu erwarten sein!

apicius, 27.10.05 @ 14:00

@pastinake
So ist es! Die Welt kommt am Herd zusammen. Gleichweise werden die Chinesen durch die Einführung unserer Kochgeräte ihre Küche ebenfalls "westernisieren". Alles zu verteufeln was nicht aus der unmittelbaren Heimat kommt ist grundlegend falsch. Eine Art Heimatbezogenheit die Tatsachen leugnet.

Historisch gesehen war Escoffier und Cesar Ritz das Produkt der "Eisenbahnifizierung und Elektrifizierung" Europas. Die Küche ist vom privaten Luxus ins Grand Hotel gezogen.

Fast Food aller Art war das Produkt des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg. Unsere Hochküche das Produkt eines ausufernden Hedonismus, der von der Generation welche in den 40ern und 50ern nichts zum Vergnügen hatte gepflegt worden ist.

Die jetzige Jugend wird von Kind auf verwöhnt, sie wird eine Zurück - Bewegung auslösen - aus Langeweile vom Überfluss.

Wichtig ist auch jetzt die Freiheit alles zu probieren. Aber es muß ein Mann sein und kein Konzern.

Trotzdem wird man auch neues medizinisches Wissen der Kochkunst anfügen müssen.

Grüße!

noapino, 27.10.05 @ 11:18

Zurück zur Phagozytose!
Vorsicht vor Erdäpfeln!

Es sind kaum mehr als 200 Jahre, dass diese exotischen Nachtschattengewächse in unseren Breiten als Nahrung dienen.

Zuvor standen doch primär Getreide und Hülsenfrüchte auf dem Speisezettel.

Und davor...?
Und davor...??
Und davor...???


P.S.: Dank an apicius für die Ragoutberuhigung.

Minimalist, 27.10.05 @ 11:06

Zeitgeist
Oktober Ausgabe "Harvard Business Review".
Originaltitel eines Artikels: "the 20th Century Zeitgeist" mit Charakterisierungen der Jahrzehnte. Aus dem Blickwinkel der USA
1990er: Globalisierung; Diversifizierung der Arbeitswelt; Reingineering; boomende Ökonomie; massive Emmigration; Informationsvielfalt (Internet).
Im Vergleich 1910er: Totale Regulierung; Kriegsökonomie; Kaum Arbeit.
Auszüge: 20er: Landflucht; 30er: Protektionismus und Depression; 40er: Kriegsökonomie; 50er: Wirschaftswunder; 60er: Soziale Spannungen, Multis erscheinen; 70er: Stagflation; 80er: Globaler Wettbewerb, Deregulierung, Dienstleistungsökonomie.
2000?
Gegen welche Zeitgeist müssen wir nun...?

pastinake, 27.10.05 @ 10:58

Schuldbekenntnis einer notorischen Frevlerin
Ich bekenne mich schuldig, gestern "Weltmarktstrukturküche" produziert zu haben: Eine original Mühlviertler Ente (sie musste frühzeitig ihr Leben lassen, weil die Vogelgrippe-Hysterie ihr den geliebten Aufenthalt am Teich nicht mehr erlaubte) wurde in ihrer Heimat nicht behäbig-üppig mit Blaukraut und Knödeln sondern als leichtfüssige, knusprige Bali-Ente mit gelbem Reis und scharfem Fruchtsalat serviert.
Jetzt waren weder die Ente noch ich jemals in Indonesien. Es war die beste Ente, die wir alle je gegessen haben.
Es gibt fundamentalistische Lehren, die behaupten: Südfrüchten machen uns krank, weil sie nicht bei uns wachsen. Sollen wir wie meine Mühlviertler Vorfahren uns nur von Kraut, Kartoffeln und fettem Schweinefleisch ernähren? Die Küche der Region, in der ich lebe, ist nicht gerade für ihre Vielfalt bekannt.
Ich glaube auch nicht, dass wir exotische Produkte wie asiatische Shrips, Victoriabarsch, etc. um jeden ökologischen Preis weltweit zur Verfügung haben sollen. Möglichst frische, regionale Produkte zu verwenden, ist ein Gebot des Qualitätsbewusstseins für jeden Koch und sollte selbstverständlich sein, wenn wir von guter Küche reden. Aber der Mensch ist neugierig und kann neue Rezepturen lernen. Meine Innviertler Grosstante Resi war berühmt für ihre Bauernente und ihre Punschkrapferl. Aber sie hätte sicher gerne Neues ausprobiert, wenn sie die Informationen gehabt hätte.
Wenn die Balinesen eine Methode gefunden haben, um Ente besonders bekömmlich und schmackhaft zuzubereiten, dann sollen wir das nützen und uns daran freuen.
Was ich nicht möchte: dass ein Fusionkoch die Bali-Ente auf Rotkraut serviert, aber das ist eine andere Geschichte.
Demnächt wird es bei mir eine karibische Rum-Ente geben und irgendwann in diesem Winter auch Grosstante Resis Bauernente.
Hoch die Internationale ....Vielfalt ;-)

apicius, 27.10.05 @ 10:41

Was ich meine ist...
..dass vom Wesen der Restaurantskritik zwangsläufig eine Allerwelts - Spitzenküche gefördert wurde. Denn unter 100 Gastronomen ist vielleicht nicht einmal einer, der nicht "Kohle machen mit Kochen" zuerst im Sinn hat. Verstehen Sie bitte, persönlich ist mir das egal. Aber die Vertreter der Hochküche können heute das Essverhalten der "Massen" nicht mehr beeinflussen. Das istr Entscheidend. Authentische Kochkunst findet man aber trotzdem zur Zeit passend überall. Das ist wie bei der volkstümlichen Musik.

Herr Wagner: Ich denke Kritik soll was bewegen, die Janusgesichtigkeit der Kritik zu Essverhalten wo Ästhethik eine Rolle spielt ist viel schwieriger als Musikkritik - wo es Noten gibt oder Architekturkritik wo es Baupläne gibt.

Ich habe nicht Ihre Fähigkeiten angezweifelt. Ich finde zwischen Kritikern und Kritisierten soll keine Blutsbrüfderschaft sein. Davon spricht aber fast Jeder im Gewerbe...

Viele Grüße

apicius, 27.10.05 @ 10:25

noapino -- Koservieren
--Konservieren in Gläsern von Fleisch: eine Erhitzung bis 85 Grad und Abfüllung bis 10mm unter dem Rand reicht. Nach dem Abfüllen soll man dafür sorgen dass Lufbläschen aufsteigen können. Der kleine Fettspiegel obenauf ist wie ein zweiter Deckel. Wichtig ist das gut schließende Glas und ein frischer Gummiring dazwischen, der auch erhitzt gehört. Nach dem Abfüllen stellt man das Glas noch für 10 Minuten ins heisse Wasserbad - Zur Sicherheit. Ragouts halten ziemlich lange. Ich empfehle aber das Fleisch gut durch zu kochen.

Zweite Methode wäre das Fleisch ohne Saft in gutes natürliches Fett einzugiessen, kann auch Schweinefett sein. Dort genügt eine Klarsichtfolie drüber...

profiler, 27.10.05 @ 09:35

regional UND international....
diese diskussion wurde andernorts, schon wesentlich ausführlicher und heftiger geführt als hier, und zwar in den französischen tageszeitungen, als es darum ging, wer denn nun die nachfolge von, dem in den ruhestand tretenden, joel robuchon antreten darf.
es wurde darüber heftigst debattiert, ob denn nun ein traditonalist oder ein modernisierer, vom schlage eines pierre gagnaire, zum zuge kommt.
wie jedermann weiss, wurde es dann der geniale alain ducasse, der auch alle mit seinem gesamtfranzösischen konzept überaschte. produkte aus allen regionen der grande nation und keine grundlegenden experimente bei den zubereitungsarten.

an dieser stelle möchte ich noch anmerken, dass der pionier der oben kritisierten art von kocherei, der von CW und apicius so sehr geschätzte escoffier war. escoffier war nämlich der erste "globalisierer" und "gleichmacher" in der küche und in der gastronomie. (ich höre schon wieder die lemurengesänge.....)

ich glaube nicht, dass man so vermessen sein kann, von einem kritiker zu verlangen, besser oder gleich gut kochen zu können wie petz, fuchs oder wörther. genauso wie niemand von marcel prawy verlangt hat besser zu singen als agnes baltsa (hoffentlich richtig geschrieben) und niemand verlangt von roland könig bessere freistösse zu schiessen als david beckham. aber als ausgewiesene kenner der materie, muss man diesen und anderen menschen zugestehen, sich öffentlich kritisch über das jeweilige fachgebiet zu äussern.

gruss

Minimalist, 27.10.05 @ 09:27

Denkmalschutz
Zugegeben, es ist spannend, zu wissen, wo das Reich der Schlipfkrapfen aufhört und jenes der Schlutzkrapfen anfängt. Und umgekehrt.
Wie schütze ich aber nun die Schlutzer?
In dem ich Ihnen emfehle nicht an den Lago Maggiore zu ziehen um sich dort mit den Lavarello-Ravioli um die Esser zu balgen? Denn sonst hätten sie ja das (moralische) Recht verloren, sich gegen die Einwanderung von Birnen-Ricotta Ravioli, die angeblich unschlagbaren Piroggen,... zu wehren?

Ich empfehle eine kulinarische Einwanderungsbehörde. Mit Quoten.
Und ein kulinarisches Denkmalschutzamt.

ChristophWagner, 27.10.05 @ 09:00

Es kann nur einen geben...
... scheint Apicius zu meinen. Wer ist schon fundiert ausgebildet und unabhängig von den Medien?

Ich hab´s! — Ein reicher Verleger, der Koch gelernt hat.
Wer dieses Anforderungsprofil erfüllt, bitte melden!

P.S.: Dass ein guter Kritiker auch in der Kunst des Schreibens bewandert sein sollte, scheint im Anforderungskatalog des geschätzten Apicius seltsamer Weise nicht auf. Denn schreiben kann ja jeder. Kochen übrigens auch, und wenn´s nur Kaffee ist.

alma, 26.10.05 @ 23:38

Küchenjammer
Das Beklagen des Verschwindens regionaler Küchen scheint mir ähnlich gelagert zu sein wie die Klagerufe angesichts des Veränderns von Sprachen oder jene zum angeblichen Verblassen traditioneller Winzerkunst.

Natürlich gewinnen in einer sich ständig verändernden Welt zeitweilig gewisse Phänomene die Oberhand, die einigen oder auch vielen als störend bis überflüssig erscheinen; Liebgewordenes scheint zu verschwinden, fließt aber vielleicht nur ein in neue Zusammenhänge; und was zeitweilig eine versteckte Nischenposition einnehmen muss, kann dort vielleicht wieder zu neuer Kraft erwachsen.

So wie Herr Schwendter da zitiert wird, scheint mir viel Kulturpessimismus drin zu liegen. Ausgerechnet Blumenthal und Adrià als Exponenten einer Weltmarktstrukturküche zu benennen halte ich für falsch - sie sind doch eher Wegsucher, Experimentierer, die mit universeller Vermarktbarkeit wenig am Hut haben.

Die Fadesse einer Weltstrukturküche müsste nach meinem Verständnis doch eher auf uninspirierten, leicht aufzunehmenden und zu reproduzierenden Rezepturen basieren, gestützt meinethalben durch Produkte der Lebensmittelindustrie und der Gerätetechnik - ich erspare es den werten Lesern, die von apicius liebstgehasstestens Exemplare als Beispiele zu nennen ;-)
Ich habe jedoch Prof. Schwendters Buch nicht gelesen und sollte es doch wohl tun, bevor ich mich diesbezüglich noch weiter verbreite.

Aber "internationales Essen auf allen Speiseplänen dieser Welt" kann doch wirklich nicht in der technischen Findigkeit weniger Auserwählter zu finden sein! Hellhörig wurde ich bei der "Tabuisierung von Ingredienzien" (gits da einen Konnex zur Hohenloheschen Kochbuchzensur?), die sicher auch mit sehr eigenwilligen Interpretationen von "gesundheitlich verträglich" einhergeht - siehe auch EU-Vorschriften, exerziert oder in Planung; da stoßen wir auf gesellschaftspolitische Zusammenhänge.

Folkloristische Versatzstücke wird es nur dort geben, wo man sie auch zulässt; wenn ich an das Bruckfleisch beim Floh oder die Spinatknödel beim Strasserwirt denke, kann ich nichts Folkoristisches darin finden.

Zeitgeist in der Küche war zudem immer und überall präsent, wie auch in vorhergehenden Diskussionen herauszulesen war.

noapino, 26.10.05 @ 21:38

[off topic] Kleines Rehragout im Rex-Glas???
(zunächst noch als kleine Alibihandlung on topic: Ich bin überzeigt, ausübende Kompetenz und die Kompetenz, Qualität beurteilen zu können nicht notwendigerweise in einer Person vereint sein müssen.)

Nun meine dringliche Frage zu meinem kleinen Rehragout, das mir apicius als Kleinteilverwertung empfohlen hat (ich bitte meinen diesbezüglichen Threadmissbrauch zu entschuldigen):

Das Fleisch ist sauber pariert in nette kleine Stücke geschnitten, kurz angebraten, (mit viel Gemüse und kräftigem Rehfond aufgegossen) zwar nun halbgar und ich würde es in nächster Zeit gerne in die Gläser füllen, sorge mich aber in Bezug auf die Konservierung:

Dem mir zur Verfügung stehenden Büchlein der Fa. Rex ("Lehr- und Handbuch für die moderne Sterilisierküche", 11. Ausgabe aus den 30ern) wird das Kalbsragout 60 Minuten bei 98 Grad sterilisiert!!!

Und das will ich meinem Reh (nun doch nur 8kg Lebendgewicht, da wegen einer Wasserrohrbruch-, Hund- Kühlhausgeschichte Ersatzreh, aber das würde hier zu weit führen) nicht antun.

Wie kann ich nun dafür sorgen, dass die Gläschen (gekühlt) zumindest ohne lebensmitteltechnisch bedenklich zu werden, die nächsten 2-3 Monate überstehen?

herzlichen Dank im Voraus.

apicius, 26.10.05 @ 20:58

...Kritiker zu sein...
...ist im kommerziellen Bereich viel leichter als Koch zu sein. Ich bin der Meinung Kritiker ohne fundierte praktische Ausbildung in dem zu betrachtenden Fach ist ein Problem. Die Objektivität leidet. Ein richtig guter Kritiker hat nach meiner Auffassung diese Polaritäten: Fundiertes praktisches Fachwissen das alle Aspekte des Gastgewerbes berücksichtigt und materielle Distanz - sprich Unabhängigkeit von Medieninhabern. Ein Edmund Saillard.

Ich sehe in Frankreich, Deutschland und Österreich öffentliche "Liebesverhältnisse" zwischen Kritikern und Koch/ Unternehmern die sich oft schon über zwei Generationen gehalten haben. Das fördert keine gute Entwicklung.

ChristophWagner, 26.10.05 @ 20:29

@apicius
Ich muss nicht zugegeben, kein gelernter Koch zu sein. Ich habe in Wahrheit nie behauptet, ein gelernter Koch zu sein. Ich finde, Restaurantkritiker sollten kochen können wie Musikkritiker ein Instrument spielen können sollten. Aber Köche sollten ebensowenig Restaurantkritiken schreiben wie Operntenöre Opernkritiken.

apicius, 26.10.05 @ 20:02

Gut zu lesen.

C.W. der zugeben muss, kein gelernter Koch zu sein, läuft ja auch „nur” wie die vielen gastronomischen Hunde der Vernunft in der Welt an der Leine der „Weltmarktsstrukturküche” daher.

Es gäbe keinen großen Ferran Adriá oder auch keinen berühmten Witzigmann und wir wüssten wahrscheinlich nichts von den anderen vielen großen Künstlern am Herdfeuer, gäbe es keine Weltstrukturküche.

Das ist wie bei der Republik Kugelmugel die stachedrahtbewehrt im Prater steht.Einstens von den Spießern verdammt, heute... Kurz gesagt, mir wäre die Welt ohne bunte Deppen zu langweilig. Jeder der sich öffentlich zur Schau stellt wird zwangsläufig auch zum Idioten.

Erst an diesen Umständen orientiert sich der Mitläufer wie der Vordenker zugleich richtig.

Im Grunde war die „Weiterentwicklung” aber doch wieder auch nur sehr beschränkt auf Gerätschaften. Soßen in noch feineren Strukturen, Düfte in höherer Konzentration, Hitze in noch besserer Verteilung. Wenn man öffentlich bei Kochkursen sagt ein Pürierstab sei Unsinn und untermauert das mit guten Argumenten, so enttäuscht man nicht nur den Elektrohandel, die ganze zukünftige Entwicklungskausalkette wird verhindert. Daher duldet man das.

Ich verweigere mich dem Lob für bessere Produkte. Die Schalen von Früchten härter und farbiger zu gestalten und Fleisch in Bio – Massentierhaltung zu gewinnen, aus Vakuumfolien auszupacken, oder Fisch in künstlichen Atmosphären können mir immer noch gestohlen bleiben. Für mich ist nichts was ich so sehe ein realer Fortschritt. Weil ich bin Koch und habe die letzten 35 Jahre der kulinarischen Entwicklung in allen Instanzen mitgemacht. Ich wünsche mir Herdfeuer von gutem Holz.

Aber ab und zu wird die Leine länger und der Hund findet neue Bäume die er markiert. Jedoch die richtig gute Küche lebt überall auf der Welt immer nur im Verborgenen und ist somit wenigen zugänglich. Denn alles was bekannt wird, wird verdorben. Damit ist mein Urteil gefällt. Freut euch der „Notdurft”, vielleicht ist doch Hunger der beste Koch!

Mahlzeit!

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