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Christoph Wagner's Weblog

04.12.05 @ 14:10

Nichts gegen Cevapcici

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„Habt ihr denn hier keine Cevapcici?”

Als ich diese Frage zuletzt in Kroatien stellte, erntete ich zunächst betretenes Schweigen. Dann nahm mich mein Gastgeber beiseite und flüsterte mir zu: „Ich denke, ich schulde ich Ihnen noch eine kurze Einführung in die politischen Grundlagen unseres Landes.”

Keine Bange: Die nun folgende Schilderung der Tito-Epoche und der anschließenden Balkankriege erspare ich Ihnen ebenso wie die ausführliche Typologie der einzelnen Balkanvölker. Ich gebe nur die Conclusio des langen Vortrags an Sie weiter, die da lautet: „Cevapcici sind kein kroatisches, sondern ein serbisches Gericht. Kroatische Küche ist auch nicht scharf, und wenn wir grillen, so grillen wir nur unter der Peka.”

Ich nahm dies zur Kenntnis, auch wenn ich mich unzähliger recht heftig gewürzter Grillspezialitäten entsinne, die ich in Kroatien, als es noch Teil Jugoslawiens war, gegessen habe, und keineswegs alle davon waren jener unter Asche vergrabenen Tonglocke namens Peka entsprungen. Aus den Worten meines Gegenübers schien mir vielmehr die Überzeugung zu sprechen, dass politische Veränderungen notwendiger Weise auch kulturelle und damit auch kulinarische nach sich ziehen müssten.

Beispiele für die Richtigkeit dieser These gibt es mehr als genug. Wäre Ungarn nicht für Jahrhunderte unter osmanische Herrschaft gefallen, würde es heute in ganz Ungarn, aber auch in Wien keinen Strudel geben. Hätte Katharina von Medici nicht an den Pariser Königshof geheiratet, so wäre möglicherweise Florenz die Welthauptstadt der „Grande Cuisine” geworden, die in diesem Fall wohl „Cucina grande” hieße. Und um ein exotisches Beispiel zu wählen: Die Japaner wüssten, wären sie nicht von portugiesischen Eroberern und Missionaren bedrängt worden, bis heute nicht, was Tempura sind.

Der Einfluss politischer Veränderungen auf die Küche ist demnach ebenso unbestritten wie die Sehnsucht nahezu jedes Landes, eine unverwechselbare Nationalküche oder zumindest bestimmte Nationalgerichte ihr eigen zu nennen.
Allein, welcher Art sind solche „Nationalgerichte”? Zumeist sind sie - man denke nur an das maurisch-byzantinisch-italienische Wiener Schnitzel - durchaus multikultureller Natur. Das ungarische Gulyás wäre ohne den aus Amerika stammenden Paprika (den es erst um 1800 kennen lernte) in seiner heutigen Form ebenso undenkbar wie die Pizza und die Sauce Bolognese ohne die ebenfalls aus Übersee stammenden und Jahrhunderte lang für giftige Zierpflanzen gehaltenen Tomaten. Das französische Bifteck frite ist, ebenso wie das Bistecca alla fiorentina einer der wahrlich raren kulinarischen Anglizismen, die sich in romanischen Küchen je breit machten. Und als der britische Ernährungswissenschaftler Maurice Bacon im Daily Mirror die Urheberschaft seiner Landsleute auf die Lasagne unter Berufung auf ein «Loseyns» genanntes Rezept aus dem Jahr 1390 reklamierte, konterten die Italiener mit einem zwanzig Jahre früher erschienen Bericht über die Pest in Florenz, in dem es hieß: „Die Toten werden wie Lasagne in den Gräbern geschichtet.”

Dass sich Nationalbewusstsein nicht nur in Vaterlandsliebe, sondern auch im Stolz auf Mutters Küche äußert, mag ein Teil der Wahrheit sein. Der andere Teil der Wahrheit besteht in der absoluten Unmöglichkeit, Küchendemarkationslinien wie nationalstaatliche Grenzen zu ziehen. Fazit: Kochrezepte werden niemals eine Nation stiften, sondern immer nur einer bestimmten Region Identität verleihen, dieselbe aber auch weit über die Region hinaus vermitteln können.

Genau in diesem Bewusstsein habe ich erst unlängst mitten in Kroatien wieder einmal ganz ausgezeichnete serbische Cevapcici gegessen.

30 Kommentare | Kommentar abgeben

alma, 08.12.05 @ 08:09

Topaz
Der türkische Greißler gibt mir das Stichwort zum Thread-Hiking:

Die Nahversorgungslage ist wohl nicht nur in Tirol extrem eingeschränkt, oder aber extrem ausgedehnt, je nach Standpunkt: an jedem Ortsaußeneck immer noch größere Supermärkte, während an den Innenortecken die kleinen Läden mit Spezialangebot verschwunden sind. Einzig Türken halten sich wacker, haben auch zeitweise ein interessantes Obst- und Gemüseangebot, aber wirklich befriedigend ...

Umso mehr erfreut es mich apfelfreundlche Menschin, wenn ich bei der aus vielen anderen Gründen hoch zu preisenden Tiroler Supermarktkette M-Preis derzeit ein Sortiment an Tiroler Äpfeln vorfinde, das mit nie gehörten Sorten aufwartet (außerdem noch in schönes Einwickelpapier gehüllt, was sofort wieder Erinnerungen an die Advents-Orangen meiner Kindheit weckt, da hab ich die dünnen Papierln gesammelt):

Topaz zum Beispiel, ein saftig-säuerlicher Apfel von umwerfender Aromatik, intensiv und feinwürzig. Ein Kleinod zwischen den steirisch-südtiroler Einheitsgeschmäckern ...

(M-Preis hat nicht nur ein bewusstes Interesse an lokalen Produkten, sondern ein ganz großes an Kunst: das drückt sich aus in von Architekten gestalteten Filialen, im auch auf den Tragtaschen sichtbaren Sponsoring wie etwa Klangspuren Schwaz, oder den feinen Gedichten auf dem Wurst-Einwickelpapier.)

PICCOLO, 07.12.05 @ 14:35

"Tschewaptschichi " Anleitung
Ich habe hier eine Anleitung die man probieren sollte:

Als Fleisch nimmt man originellerweise
halb - halb faschiertes, halbfettes Schöpsenfleisch und Rindfleisch. Kann auch Lamm sein, schmeckt aber nicht so originell.

Auf das halbe Kilo Fleisch nimmt man 200g Kerbelkraut und 50g Korianderkraut nicht all zu fein mit einem scharfen Messer gehackt. Dazu noch 100g fein gehackte Zwiebeln, ein bis zwei Zehen Knoblauch. Salz und weissen Pfeffer nach Gefühl.

Zum Vermischen mit einem Glas lauwarmen Wasser nachhelfen. Gut kneten bis fleischeignees Eiweiß die Bindung übernimmt. Sonst nichts dazutun, Würstchen oder Laibchen formen und resch in Olivenöl herausbraten.
Das schmeckt heiss oder kalt.Fettarm und durch die Kräuter edel aromatisch.

Weil wir bei den Engländern waren : Mintjelly schmeckt gut dazu.

Ajvar gibt es in jedem gutsortierten Balkanladen oder bei türkischen Greislern.

pastinake, 07.12.05 @ 10:17

Bitte nicht entschuldigen!
Jamie Oliver ist wirklich kein Koch sondern ein talentierter Showman, dem ich seinen Erfolg zwar gönne, aber seine Verdienste um die angeblichen Kochkünste der Jugend sehe ich nicht wirklich. Pochierten Lachs im Geschirrspüler zubereiten, Schweinsbraten mit Dosenpfirsichen veredeln, Olivenöl-ertränkte, ungewaschene Rucolastengel als den "sinnlichsten Salat der Welt" verkaufen - das hat mit Kochen wirklich nichts zu tun. Noch dazu lernt ein interessierter Kochneuling weder Produktkunde noch die minimalsten hygienischen und kochtechnischen Regeln. Im Prinzip ist es doch egal, ob jemand sein Fastfood bei McDonalds isst oder dieses nach JO zuhause produziert. Wirkliche Freude mit JO hat ganz sicher die Ölindustrie ;-)

profiler, 07.12.05 @ 08:55

nachtrag....
ich stehe hier nicht an, mich öffentlich bei jamie oliver zu entschuldigen. er hat auch seine verdienste, denn das wieder vermehrte interesse der jugend am kochen geweckt zu haben darf man ihm nicht absprechen (kochen ist cool), dass dann auf freier wildbahn alles ein bischen anders aussieht als im fernseher steht auf einem anderen blatt papier. ich weiss, dass das alles nichts mit dem thema zu tun hat, aber triade und BFcabernet von ET (probeflaschen) haben ihre spuren hinterlassen. vergebung.

mit noch leicht getrübtem auge
grüsst

profiler, 07.12.05 @ 08:36

bücherwahn...
leider ist es bei koch büchern ebenfalls so, wie bei allem im leben, es gibt wahnsinnig viel schrott und wenig gutes oder wertvolles. wenn man sich die regale in den läden anschaut und durchforstet könnte man schon in eine gewisse depression verfallen. allerdings muss man auch zugeben, dass die auswahl und spezialisierung noch nie so gross war wie heute. es gibt bücher (auch gute) für jeden einzelnen fachbereich und wie von minimalist schon erwähnt für jede nur denkbare region, aber auch für spezielle themen schokolade, zuckerziehen, petit fours usw. usw.
die arbeit des selektionierens muss natürlich jeder für sich selbst erledigen, denn die verkäufer sind meisst keine grosse hilfe.

eine wahre fundgrube ist der gourmet buch laden in köln, dort findet man längst verschollen und ausverkauft geglaubte bücher sonder zahl.

sich über jamie oliver aufzuregen, ist so wie wenn man sich über die kronen zeitung aufregt, gleichzeitig aber selber nichts anderes liest.
ich glaube er ist ein cleverer abcasher, aber koch?
natürlich brauche ich das hier niemanden zu erklären.


gruss

PICCOLO, 06.12.05 @ 18:54

Herr minimalist: Sie haben natürlich Recht..
Ich hab´s falsch ausgedrückt:
Nie gab es mehr gute Kochbücher aus aller Herren Länder. Aber : Ich war gestern auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für meine Lehrbuben und stellte fest, dass in Salzburger Buchläden, die ich aufsuchte an vorderster Front, lauter personalisierte Star - Kochbücher standen, die bei Hobbyköchen hoch im Kurs zu stehen scheinen. J.Oliver, Ferran Adriá, Starkoch Mörwalds Schwarten usw..
Ich fand dann doch was passendes, es war aber in einem hohen Regal. So etwas kauft fast niemand, meinte die Verkäuferin, der Band kostet über 100 Euro. Und zum herumblättern ist es zu schade… Ich konnte dann doch ein paar Bände bestellen, dauert aber wieder etwas bis sie da sind.

Jetzt schauen die Leute bei den Rohstoffen schon aufs Billigste, dann soll das Kochbuch scheinbar dazu passen. Schöne Bescherung.

Für den Ärger den ich bereitet habe gibt’s hier ein berühmtes Rezept vom „Wiener Milchscheberl”: ist eine einfache Mehlspeis die im Advent viel Freude machen kann….

Wiener Milchscheberl

280g Butter werden eine halbe Stunde gerührt, sodann werden 6 ganze Eier 70 g Zucker und 140 g fein gesiebtes Mehl darunter gerührt, die Masse in eine mit Butter ausgestrichene Stürzform bis zur hälfte gefüllt und in einem mittelheißen Ofen fertig gebacken. Man nimmt hierauf das Scheberl aus dem Ofen, sicht mit einem kleinen Messer mehrere Öffnungen hinein und füllt 750g kalte Milch darauf. Nach einiger Zeit, wenn die Milch eingedrungen ist wird das auffüllen mit ebenso viel warmer, mit Vanille und Zucker gesüßter Milch wiederholt und diejenige die nicht mehr eindringt abgeseiht. Beim Anrichten wird der Scheberl in eine Schale gestürzt und mit Vanilliemilch daruntergegossen und serviert. Bischen Zimt und Weihrauch und ein Flascherl..

Gutes Gelingen!

Minimalist, 06.12.05 @ 18:20

Spezialisierung
"Wenn man den gegenwärtigen Buchmarkt betrachtet verschwinden die in Buchform gelistete Nationalküchen mehr und mehr"? piccolo, welche Buchläden besuchen Sie?

Der wachsende Wettbewerb am Buchmarkt und zwischen den Kommunikationsmitteln führt zur Spezialisierung. Heute stehen im guten Buchhandel hunderte informative, pfiffige Kochbücher (und natürlich ein Haufen folkloristischer Blödsinn) zu speziellen Küchen: China, Japan, Korea, Vietnam, Thailand, Indonesien, Malaisien, Indien, Marokko, Ägypten, Karibik und ... alle Europäischen Länder, aber auch noch genauer, Schanghai, Kanton, Singapour, Bali, Hawaii, Gascogne, Katalonien, Friaul, Brüssel, MeckPomm, Friesland, Cottswolds, Neuengland, Istrien, Ionien, Tessin, Pannonien,.....
(und wenn unser Bürgermeister aus seinem reichhaltigen Wissen und Rezept-Schätzen etwas kompilieren möchte: Speising?!)

profiler, und andere Kochbuchsammler, sitze ich einfach dem Marketingschmäh auf?

PICCOLO, 06.12.05 @ 10:26

Copyrights -
Wenn man den gegenwärtigen Buchmarkt betrachtet verschwinden die in Buchform gelistete Nationalküchen mehr und mehr. Sie werden ersetzt von prollig - protzigen "Bignames - Cuisiniers" die sich kulinarische Unsterblichkeit erhoffen. Diese oft plumpen Plagiate sind zudem ein Sammelsurium von Ideen aus vergangenen Epochen und entlegendsten Erdgegenden, nur zum Zweck vordergründiger Effekthascherei .
Der Name auf dem Kochbuch - war früher nur das Zugeständnis an geerbte Traditionen, man stand in Demut vor der gebündelten Kunst eines Volkes Nahrung zu bereiten.(Vorwörter einiger großer Kochbücher lesen.)

Es waren daher auch die Traditionen in weiten Bevölkerungskreisen bekannt und jeder Haushalt versuchte sich an den nationalen Essgewohnheiten. Heute hat man durch den Mangel an verständlichen "Breitenkochbüchern" eine Konglomeratsküche zustande gebracht, die vielleicht dem Welthandel dient.
Da lobe ich mir Pleskavica und Cevapcici oder den Döner - den sich mangelnder "kultivierung" jetzt schon kaum mehr jemand selber herstellen kann, getraut. Man hört nur immer von der Verwahrlosung des "Faschierten" in den Märkten..(Spiegel, letzte Ausgabe - Interview mit Herrn Lafer)

ChristophWagner, 06.12.05 @ 01:53

Copyrights
Es ist zwar sehr ehrend, wenn man mir die Urheberschaft des Begriffes „Wiener Küche" zuschreibt, allein: Die ist nun wirklich viel älter. Spätestens seit Anna Dorn (geb. Pellet). der Autorin des 1827 in Wien erschienenen, stilbildenden Grundlagenwerks „Neuestes Universal- oder: Großes Wiener-Kochbuch", ist der (auch viel früher schon vorkommende) Begriff einer Wiener Stadtküche auch in einem eigenen Werk codifiziert. (Die These, dass Wien die einzige Stadt der Welt sei, nach der eine Küche benannt ist, wird übrigens alleine schon durch die Lyonnaiser Küche widerlegt. Es gibt aber auch eine Cucina triestina, eine cucina fiorentina, und dass eines der ältesten und bedeutendsten Kochbücher der Welt „Le ménagier de Paris" heißt, wollen wir vor lauter Patriotismus auch nicht vergessen.)

Der Satz „Jeder Döner macht Wien schöner" stammt hingegen mitsamt der in derselben (zunächst im „salto" und später modifiziert im „zeit.schritt" veröffentlichten Arbeit geäußerten) These, dass der Döner es dereinst zum typischen Wiener Gericht bringen würde, definitiv von mir.

PICCOLO, 05.12.05 @ 22:38

Wiener Küche - Eine meiner Theorien..
Sie ist nicht in Wien entstanden, das Märchen stammt von Tourismusakkumulatoren. Stellt Euch einmal vor, eine habsburgische Prinzessin heiratet nach Paris. Was heute kaum mehr Unterschiede in der Nahrung erkennen lässt war dazumal eine völlig neue Welt. Nicht nur dass alles anders schmeckte, man hatte auch differenzierende Bearbeitungsmethoden. Wie machten die das in Wien? Es kamen Zubereitungmethoden mit. So entstand in einigen Herrenhäusern von Paris die „Wiener Küche”. Unter Feinschmeckern war das schnell ein Begriff. Vor allem hatte die „Wiener Küche” durch ihre „mehlig - molligen” Beschaffenheiten bald einen Ruf der „Nahrhaftigkeit” gegenüber den „trockenen” Bratspießküchen. "Knetelrezepte" Queunelles - Knödel wurden in den Straßenküchen vieler Städte durch Österreicher (Wiener ) berühmt.

Ein großer Förderer der Wiener Küche war der Wiener Kongress. Kein geringerer als Antonin Careme widmete unserer Hauptstadt seine

„ Wiener Schokoladenmasse” :

Man rühre 120 Gramm frische Butter mit ebensoviel fein gestoßenen Zucker und zwölf Eidottern recht schaumig, sodann werden 120 Gramm fein geriebene Mandeln und 140 Gramm aufgelöste Vanilleschokolade gut verrührt und nach und nach in die Masse gerührt. Zum Schluss zieht man noch den geschlagenen Schnee von 12 Eiweißen mit 50 Gramm fein gesiebten Mehl darunter.

Ob das nicht der Vorläufer der Sachertorte war? Wenn man bedenkt dass Careme vielleicht sogar in jenem Hause mit der Gefolgschaft Talleyrands gewohnt hat..

Oder der einst in ganz Europa berühmte Wiener Brotkuchen, der in keinem Kochbuch des 19. Jhdts. fehlen durfte?

Beste Grüße

karlheinz, 05.12.05 @ 21:30

wien von innen
es als "wiener küche" schlechthin zu bezeichnen wäre vielleicht vermessen, aber ist das sehnen nach innerem nicht auch als typisch für diese stadt zu bezeichnen?
nicht zuletzt durch den kulinarischen hang zu innereien aller art?

"wo viel leut' da auch viel leid" trifft wohl auf alle großstädte zu, aber wien hat sich die tradition des beuscherls oder des bruckfleisches recht kultiviert auch in bessere zeiten herübergerettet.
diese art von küche findet man m.e. in solcher konzentration nicht gleich überall - allein die wortwahl der rezepturen kann bei zarter besaiteten grobes unwohlsein auslösen, wenn nicht gar den in meinem obigen posting getätigten freud'schen rechtschreibfehler ins richtige licht rücken: threat.

letztendlich aber dürfte d i e typische küche kaum anspruch auf alleingültigkeit in irgeneiner region der erde haben - ähnliche bedingungen ergeben ähnliche kulinarische lösungen; homologe gerichte, sozusagen, egal, wie sie dann heißen oder verwendet werden.

Minimalist, 05.12.05 @ 17:10

wer? aber von Allem für Alle!
"Wiener Küche

Die Zutaten für die Wiener Küche sind denkbar einfach: Man nehme die besten kulinarischen Traditionen aus Böhmen, Österreich, Ungarn und dem Balkan und vermische sie zu außergewöhnlichen Leckerbissen und Gustostückerln."
(Aus der Aktion 'Wiener Wirt'n')

Ist wohl jener "Wiener Suppentopf" gemeint?
"Die Hofküche der Wiener Monarchen war für ihre Suppen bekannt. In riesigen Töpfen versammelten sie ganze Herrscharen des Querschnitts durch die mitteleuropäische Kleintier- und Nutztier-Fauna, um dem Hofstaat das erstklassige Vergnügen der Suppe zu bereiten."
http://www.tonhof.com/rezepte/13.htm

PICCOLO, 05.12.05 @ 16:33

Daily Mirror, Nationalzeitung usw..,- pastinake..
..nein, ich bedauere immer nur , dass in unserer Epoche, die Gastrosophie so ein "Randbemerkungsthema" in den Medien ist. Darüber wird höchstens "moralisiert". Andererseits besetzen grausliche Meldungen aus der Welt unsere Aufmerksamkeit und um echtes Hungergefühl zu erfahren, bedarf es langen Fastens.

sonjaaa, 05.12.05 @ 15:33

die zeit
aha - die Idee, die Zeit als Boulevardpresse zu bezeichnen, waer mir tatsaechlich nicht gekommen. Grundguetiger, muessen Journalisten einen schlechten Ruf haben.

Nichtsdestotrotz wuerde ich gerne noch einmal die Frage aufwerfen, wer den Begriff: "wiener kueche" praegte.

vielen Dank fuer sachdienliche Hinweise

pastinake, 05.12.05 @ 15:25

Boulevardpresse
Also ich traue piccolo zu, dass er mit Boulevardpresse "Die Zeit" meint, auf deren Artikel sich noapino bezieht.

sonjaaa, 05.12.05 @ 14:50

sorry
tut mir leid, aber was hat der absatz mit der boulevardpresse mit der vorangegangenen diskussion zu tun?

PICCOLO, 05.12.05 @ 14:41

Erklärungen aus der Boulevardpresse...
..sind gastrosophisch oft nichts wert. Oft wird etwas nur geschrieben um den Platz zu füllen, und für solche Themen gibt es ohnehin nur sehr oberflächliches Interesse. Sonst würden die Leute nicht so schlecht essen und dafür noch dankbar sein...

Lasagne und die Pestopfer erklären sich so: Das ist gemeint: "wie im Topf geschichtet". Dazu muß man wissen, dass der berühmte Römertopf das Geschirr war welches diesem Teigplattengericht seinen Namen verliehen hat. Töpfe waren damals gerne eckig, weil man sie in der Glut leichter nebeneinander stellen konnte. Das "lasanum" der Römer leitet sich aber noch besser vom Nachttopf der antiken Griechen ab. Der muß auch so länglich gewesen sein. Schichtgerichte gibt es unendlich viele.

Cevapcici kommt aus dem türkisch - arabischen und bedeutet Fleisch, gehacktes Fleisch, geschnittenes Fleisch. Oder umgangssprachlich einfach : was zum Futtern. Das Koftö Kebab und Shish - Kebab sind Verwandte des kroatischen Cevapcici.

sonjaaa, 05.12.05 @ 14:39

wiener kueche
ja - das wuerde ich auch sehr gerne wissen: wer hat den begriff wiener kueche etabliert - war das vielleicht sogar CW??

pastinake, 05.12.05 @ 13:53

@sonjaaa
Das schelmische Lächeln konnte ich leider nicht sehen und das "ironischerweise" habe ich schlampig überlesen. Ich hätte mich also direkt an Herrn Wrenk wenden sollen ;-).
Den schlauen Marketingtrick, Rezepturen aus allen Teilen der Monarchie als "Wiener Küche" zu verkaufen, kann ich allerdings nur ehrlich bewundern. Frage an die Spezialisten: wer hat den Begriff "Wiener Küche" etabliert?

sonjaaa, 05.12.05 @ 13:04

pastinake
Nicht mit Stolz verwies ich auf die Wiener Kueche, sondern mit einem schelmischen Laecheln! Keine Stadt ruehmt sich so sehr, nirgendwo verweisen unzaehlige Lokale auf echte Wiener Kueche. Die Kronlaender hat Wien verloren - deren Kueche als weltweit bekanntes und werbewirksames Relikt erhalten. Das ist doch suess (im wahrsten Sinne des Wortes) - oder nicht??

Allerdings gebe ich zu, dass ich vor 13 Jahren das letzte Mal in Peking war und nicht weiss, ob auch dort ein aehnlich eigenartiger hype vorherrscht.

alma, 05.12.05 @ 12:14

alpe adria
Als Kind kam ich in den Genuss der alpenüberquerenden Küche meiner aus Bozen gebürtigen Oma: Ravioli waren in den frühen Sechzigern noch kein Standard-TK- oder Kühlregal-Artikel.
Auch nicht in Form von Schlutzkrapfen.

Mein Sohn heute liebt alles, was in Nudelteig gehüllt ist, solang Spinat dabei ist, oder wenigsten Käse und Kräuter. Also von Spinatravioli über Spinatschlutzer bis Kärtner Kasnudeln.
Es darf auch mal was mit Graukäsfülle sein. Nur Osttiroler Schlipfkrapfen mit Hirn würde er wohl auslassen.

Die gefüllte Nudel: ein wirkliches Alpe-Adria-Erlebnis?

(by the way, ein solches vermisst man in der gleichnamigen neuen Vinothek in Wien angesichts von zig Burgenland-Regalmetern ...)

pastinake, 05.12.05 @ 11:51

Wien, Wien, nur Du allein ?
Ist das nicht eine etwas zu nabelschauende Sicht, dass nur Wien eine eigene Küche hat? Was ist mit Neapel, Rom, Peking, ......?

sonjaaa, 05.12.05 @ 10:51

wiener kueche
In dieser Beziehung faellt mir ironischerweise ein, dass mich Christian Wrenkh mal auf Folgendes hinwies: viele Laender und Regionen verweisen auf ihre eigenen Kuechen. Egal ob Frankreich, das Piemont, die Steiermark,... aber nur eine einzige Stadt der Welt hat ihre Kueche: Wien.

Ist das nicht cool.

Im uebrigen bin ich davon ueberzeugt, dass das Kebab in spaetestens 50 Jahren ein Grundrezept der klassischen Wiener Kueche sein wird - und das ist auch gut so.

So lasst uns ueber die Grenzen kochen ;-)

PICCOLO, 05.12.05 @ 10:03

für minimalist:
: Am Anfang ist jede "National Küche" eine Notdurftsangelegenheit - abhängig vom Herdfeuer und Geschirr. (Ideale der Höhle). Genügt die Notdurft nicht mehr - wird ausgeliehen und nach dem 10. Male bei Prunkbuffets einverleibt. So sind viele Nationalküchen entstanden und die Irrlehren ihrer Entstehungen, weil man nie zugeben will daß der "Feind" vielleicht gar bessser kocht.

Minimalist, 05.12.05 @ 09:31

Kultur und Wurzeln?
Ich befürchte, den Balkan-Wahnsinn können wir nur unvollständig auf die Ebene des Kulinarischen abbilden.
Aber 100%ig einverstanden, die geeignete Granularität für die kulinarische Identität ist "regional".
Eine (einfallslose) österr. Kochidentität gibt es allenfalls bei den grossen Empfängen, welche von den Würdenträgern des Staates "zelebriert" werden.
Da bekommt die Tafel ihren Spitz.

noapino, 04.12.05 @ 23:38

... ist mir ...
bei der langen Überschrift verrutscht. Und zusätzlich einmal zu oft geklickt. Ich bitte um Nachsicht.

noapino, 04.12.05 @ 23:36

Das Verb ....
...

noapino, 04.12.05 @ 23:33

"eine Abhandlung über die Zubereitung von Aal so viel wert ist wie eine Dissertation über das Lächeln der Beatrice Dantes"
erklärte Pellegrino Artusis in seinem 1891 erschienen Werk "La scienza in cucina e l'arte di mangiar bene (Von der Wissenschaft des Kochens und der Kunst des Genießens)".

Darin zeichnete er eine kulinarische Landkarte der noch jungen italienischen Nation und soll damit nicht nur den Jahrhunderte alten Streit über die korrekte "italienische" Aussprache zugunsten des florentinischen entschieden, sondern gleichermaßen eine heimliche italienische Gründungsakte verfasst haben.

Zumindest in diesem Fall gelten Kochrezepte sehr wohl als für eine gesamte Nation identitätsstiftend.

Vermutlich war es bei Pellegrino Artusis jedoch weitaus mehr die Sprache in der die Rezepte verfasst waren und die es den Italienern ermöglichte sich von den bis dahin dominierenden Franzosen abzugrenzen, als die beschriebenen Gerichte selbst, aber immerhin.

Mehr dazu siehe z.B. hier http://tinyurl.com/dnkm7

karlheinz, 04.12.05 @ 16:10

nomenklatur
verzeihung, aber ich sollte während des schreibens nicht zu sehr ans essen denken! absonderlichkeiten in nomenklatur und orthographie sind die folge:
statt "partizipation" meinte ich natürlich "partition", der südlichere prsut ist der "dalmatijnska", lediglich "der" und "das" ritschert ergibt wieder eine diskussionswürdigkeit wie die frage, in welchem graben jetzt die karotten (nicht)hineinkommen in dieses gericht.

karlheinz, 04.12.05 @ 15:29

grenzenlos
"...sondern immer nur einer bestimmten Region Identität verleihen,..."

oft ist diese regionalität schon dem begriff "lokalität" hintan zu stellen. ein slowenischer krska prsut etwa ist nicht dem dalmtinska prsut gleichzusetzen, wiewohl beide früher, zu zeiten des ehemaligen jugoslawiens, homogenisierend als "da proschutt" titul- und qualifizert wurden.
die spezielle art zu schmecken ändert sich aber nicht an sloweniens südgrenze sondern zwischen piran und rovinj, koper und pula, rijeka und krk.

der grobe, nationale unterschied ist natürlich in wahrheit ein geografischer und dieser wiederum in noch kleinere partizipationen einteilbar, womit wir auch hier wieder beim begriff "terroir" wären.

eine weitere differenzierung könnte nun bis hin zum bereich der familiären zubereitungsarten getroffen werden, die sogenannten "geheimrezepte" (vielleicht manchmal auch ausdruck gastropraktischen unvermögens?) lassen ein gericht in unzähligen variationen auftauchen.

eine gesamte region verbindet dennoch das grundrezept, auch wenn die politik grenzen zu ziehen versucht, deren entstehung teilweise jahrhunderte zurückliegt - siehe etwa das kärntner und das steirische ritschert, welche sich grundsätzlich nur durch ihre nomenklatur unterscheiden.

so gesehen erscheint die freude sich zu ernähren ein recht vernünftiges europea zu gewährleisten - der versuch dies zu verhindern wird hoffentlich ein solcher bleiben und ebenso hoffentlich bloß durch normierte krümmungsradien amüsieren.
über die gefahren bürokratischer regulierung des geschmacks eines einigen europas zum wiederholten male zu diskutieren wäre ein selbst ein eigener threat zu ungenügend und daher...
aber genug und schluss!


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