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Christoph Wagner's Weblog

17.01.06 @ 16:28

Kutteln um 55 Euro oder: Harry´s Bar, revisited

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Dass das Bessere der Feind des Guten ist, darf als Binsenweisheit gelten.
Ist deshalb aber auch das Teurere der Feind des Teuren?

An dieser Frage können sich die Geister der Gourmandise in aller Welt erhitzen, wenn es um die Preispolitik von Arrigo Cipriani in seiner „Harry´s Bar” in San Marco geht.

Teurer, soviel steht fest, geht´s auf dieser Welt nicht. (Es sei denn man speist in der Enoteca Pinchiorri zu Florenz, die legen vielleicht sogar noch eins drauf.) Aber allemal: ein kleines Vorspeisencarpaccio, auf einem Tortenteller serviert, um 44 Euro, und eine Portion Kutteln alla parmigiana mit Reis um 55 Euro, 12 Euro für ein kleines Bier und ebensoviel für ein Vierterl vom Haus-Soave , das ist im World-Wide-Wucher sicher hart an der Pole Position.

Mein Vorschlag, bevor Sie sich jetzt entrüsten: Vergessen Sie das Ganze einfach und gehen Sie nicht hin. Es ist sowieso nicht besonders schön dort. Die Sessel sind abgeschlagen, die Lederbezüge zerknautscht, und wenn man der Toilette nichts Schlimmeres als nur Patina bescheinigt, so muss man schon zu Arrigo Cipriani s guten Freunden gehören

Doch lasst uns die Sache einmal anders betrachten, zum Beispie vom Standpunkt jener sechs oder sieben Herren aus, die sich da auf kleinstem Raum darum kümmern, jedem Gast, selbst dem fotografiersüchtigsten Touristen, jeden Wunsch von den Augen abzulesen und ihn, auch wenn er es nicht ist, wie ein Mitglied der oberen Zehntausend zu behandeln.

Oder betrachten wir es von der Warte der Küche aus, die wirklich nichts Besonderes bietet, das allerdings besser als überall anderswo, zumindest in Venedig, aber wahrscheinlich in ganz Italien. Nichts Besonderes wie etwa das (in seiner Schlichtheit tatsächlich ultimative und obendrein hier erfundene) Carpaccio, die Shrimps Thermidor mit Reis-Pilaf, die Caprese, die Tagliarelle mit Scampi Armoricaine, die Seezunge mit Artischocken, die Kalbsniere mit Safranrisotto - die hausgemachten Sorbets und die üppigen Torten und süßen Bomben, die der Service zum Degustieren direkt an den Tisch bringt.

Sicher: Manches könnte ausgefallener, kochtechnisch raffinierter, moderner angerichtet, intellektuell inspirierter sein. Aber als das was es ist (und mehr gibt es ja auch nicht vor zu sein) ist es umnschlagbar. Was klassische Küche betrifft, gibt Arrigo Cipriani schon einen Urmeter vor.

So befindet man sich hier also an einem Ort gehobenster Normalität - und auch (vielleicht auch gerade) diese will heute schon bezahlt sein. Dass das Ganze sich direkt am Canal Grande an einem der zentralsten Plätze Venedigs abspielt, macht alles noch teurer, und dass man das Gefühl hat, am selben Sessel wie auch schon Ernest Hemingway zu sitzen, macht es geradezu unerschwinglich.

Andererseits ist gerade Venedig ein gutes Beispiel dafür, dass man um auch nicht sehr viel weniger Geld als in „Harry´s Bar” wesentlich schlechter essen kann. Was einmal mehr beweist, dass nicht nur das Bessere der Feind des Guten ist, sondern das Teurere letztlich doch auch der Feind des Teuren sein kann.

Angesichts dieser Tatsache nimmt man beim Bezahlen der Rechnung dann auch fast gerührt zur Kenntnis, dass hier - ganz im Gegensatz zur in Venedig bis in die kleinste Pinte üblichen Praxis - kein Gedeck verrechnet wird.

50 Kommentare | Kommentar abgeben

pilzkopf, 23.01.06 @ 22:39

@weltverbessern - profiler
- ist nie schlecht. Einen Weckruf in die schlaftrunkene Welt zu schmettern, warum nicht? Wiederbelebung von gastronomischen Grundwerten finde ich auch bei Johanna Maier, bei Hanner und Eselböck.

Herr Wagner hat mit seinen Bemerkungen jenes Lokal ja auch - aus deren Sichtweise - verrissen. Und zwar so, dass kein Speisinger je dort einkehren will. Wie wirds dann in den Metzgereien Venedigs aussehen?? Kann es sein daß Professionisten so stur sind um des Friedens willen diese Verhältnisse zu akzeptieren, nur damit einem selber nichts passiert? Ich meine gerade ein Koch wird unter den sich "verschärfenden" Verhältnissen zu leiden haben? Solche Lokale hinterlassen auch nur schlechtes arrogantes Personal, schlechte Arbeitsmoral und eine alberne Eingebildetheit. Wie erziehen Sie Herr Profiler als guter ambitionierter Koch einen Commis de cuisine aus solchen Lokalen dann um?? Wenn der glaubt ein Carpaccio auf einem Dessertteller mit einer müden Olive und billigem Balsamico das wars dann..? Der wird dann in seiner Affektiertheit sagen: "profiler" versteht nichts vom Kochen... Dabei weiß ich Sie müssen einer der Besten sein und bedanke mich für Ihre immer lesenswerten Einträge, es wäre für das Projekt Speising sehr zu wünschen wenn sich viel mehr solche herausragende Persönlichkeiten auf diese Diskussionen einlassen würden. Dank auch an die Speising Redaktion für ihren Mut diese Comments stehen zu lassen. Danke auch dem weisen Minimalisten, der eine Distanz zu den Dingen hat die ihn als einen Guru de gout ausweist! Danke auch allen anderen, natürlich.

Verbeugung, Diener!!

profiler, 23.01.06 @ 16:07

@ mykologe
so direkt gefragt......
naja, 50 euro für kutteln erscheinen selbst mir ein bischen happig. und wenn dann die toillette auch noch albanisches niveau vorzuweisen hat, dann winke ich dankend ab.
aber grundsätzlich muss das jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich so etwas gibt oder nicht. beim thema preis leistungsverhältnis (gut oder nicht gut) verhält es sich meiner meinung nach so, dass wenn die eigene erwartungshaltung erfüllt wird es sich um ein gutes handeln, wenn nicht, nicht. so einfach ist das. ein burger oder kebap um 4 euro kann ein tolles preis leistungsverhältnis haben oder auch nicht. ein hummer bei ducasse um 100 euro kann für den einen ein wucher und damit unakzeptabel sein, für den anderen eine tolle sache sein, ohne je eine preisüberlegung anzustellen.
und wenn es menschen gibt die harrys bar als inbegriff venezianischer gastronomie betrachten, soll es mir auch recht sein. ich habe da nicht wirklich ein problem damit.

aber das alles als anlass dafür herzunehmen, wie manch anderer, meine weltverbesserungstheorien unter die leute zu bringen, halte ich für absolut überzogen. bleibt cool leute.

gruss

mykologe, 23.01.06 @ 14:26

profiler
CW`s Zitat; ......und wenn man der Toilette nichts Schlimmeres als nur Patina bescheinigt.... ;---)) !!!

Sie haben sicher ein bevorzugtes Restaurant mit besten Verhältnissen und werden sicherlich nie in derartig beschämenden Verhältnissen speisen wollen, da kann einem ein Restauranttester nur leid tun. Sich womöglich Clamydeninfektionen auf einem Szene Lokalklo holen und für Kutteln 50 Euro bezahlen, da ist P´s.Weltschmerz -Rokkoko - Meinung mehr als lässig. Traurig ist das für Venedig. Was meinen denn Sie eigentlich dazu??

profiler, 23.01.06 @ 13:20

@ mykologe
P. ist nicht lässig, er ist verkrampft. er werkt nämlich mit dem 11er schmäh: ich rede viel, ich rede laut damit man mir glaubt.

gruss

pilzkopf, 23.01.06 @ 09:53

minimalist!
I love You!!!

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