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Peter Gnaiger's Sternen-Logbuch
18.06.07 @ 12:59
wurzelköche
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Frei nach Monty Python sage ich jetzt: Und nun zu etwas ganz anderem...
Ich hatte vorige Woche ein interessantes Telefonat. Der Verleger meines Buches wandte sich an mich, um eine Bitte des Biopioniers Werner Lampert ("Ja! Natürlich", heute eher konventionell mit "Zurück zum Ursprung" unterwegs) weiter zu leiten. Er wollte österreichische Spitzenköche in sein Boot holen. Sie sollten Menüs zubereiten, die ausschließlich mit Zutaten gekocht werden, die aus einem Umkreis von maximal 80 Kilometern gekocht werden und die Medien sollten ausführlich darüber berichten. Speisinger, die das "System Spitzenküche" kennen, werden nicht überrascht sein, dass diese Forderung von jedem Koch als wirklichkeitsfremd betrachtet wird. Dennoch scheint die Vision, die von internationalen Edelprodukten dominierte Luxusküche, einmal völlig neu zu überdenken, einer weiteren Diskussion auf dieser verehrten Plattform würdig zu sein.
Zum Einlesen empfehle ich die Lektüre der Storys, die heute in den Salzburger Nachrichten zu dieser Aktion zu lesen sind.
Lamperts Idee:
www.salzburg.com/nwas/archiv_artikel.php?xm=3395707&res=0
und die obauer-antwort im sn-interview:
www.salzburg.com/nwas/archiv_artikel.php?xm=3395708&res=0
Jetzt warte ich nur noch auf eure Stellungnahmen, bin schon gespannt wie ein Pfeilbogen...
92 Kommentare | Kommentar abgeben
OberkllnerPatzig, 20.06.07 @ 16:50
mein Dampf.
Ob Lampert national ist, weiss ich nicht, hab das auch nicht behauptet. Die Billa-Propaganda hatte diesen "nur aus Österreich - mir san mir-Touch", dieses "reine Produkt aus krisallklaren österr. Gebirgsseen" usw. Das mag ich nach wie vor nicht, denn hinter diesem "Positiv-Nationalismus" Marke nur Österreichisches ist gut steckt noch viel mehr. Das richtet sich massiv gegen die anderen. Das hatten wir schon einmal.
Geplünderte Ozeane, dreckige Fischberge ... ich dachte, in der Spitzengastronomie zählt das Produkt? Handgeangelt, totgestreichelt, Muttertierhaltung, mit Bier gefüttert und massiert, ungestopfte Stopfleber, glückliches Huhn und seelig entschlummertes Milchkalb etc.
Ich dachte, gerade die Spitzengastronomie wäre ein Vorreiter gegen Massenproduktion qualitativ schlechter Nahrungsmittel?
Ich dachte, dass das Bewusstwerden von gutem Geschmack von ethisch vertretbar gehaltenem und geschlachtetem Tier von der Topgastronomie langsam in die Haushalte sickert?
Ich dachte, dass das Bewahren alter Paradeissorten und Pflegen biologischer Gemüse- u. Kräutergärtlein sich die Topgastronomie aufs Revers steckt?
So falsch gedacht? Jetzt kommst Du wieder.
5622, 20.06.07 @ 15:43
VIVE LA RETROVISION!!!
ich geh eben anders an die problematik ran. während andere über texturen und schäumchen diskutieren und die wunderbar perfektionierte bedienung im nobelhobel, lese ich in der aktuellen geo: "geplünderte ozeane". dazu seh ich dann berge von fischen im dreck liegen, die ich sonst nur im haubenresti filetiert sehe. jetzt werdet ihr wieder sagen: "aber diese paaaar spitzenlokale" sind doch daaaafür nicht verantwortlich..." sind sie leider doch!!! schaut euch die letzten beiden jahrzehnte an: was war trend in spitzenlokalen und wie lange hat es gedauert, bis der trend für die prolls ganz unten im supermarkt nachgebastelt wurde? heute grillt die greti-tant im schrebergarten mit malachitgrün behandelten scampi.
ich tu mich auch schwer, euch beizupflichten, dass die besten köche eben das besondere - sprich: luxusprodukte - bieten müssen. unser meister piccolo hat mir ein rezept für poisson cru geschickt. das ist große kunst, weil er macht es mit saibling auf die polynesische art. das wären die kunstgriffe, von denen lampert gesprochen hat. dass die köche zuerst die strukturen daheim stärken sollen. obauer hat es ja richtig gesagt: die spitzenköche haben die kochkultur hochgehalten. wer sonst? in den unteren kochligen kriegt eh keiner mehr einen ausgebildeten koch in die küche. da pfeifts nur noch halbfertig aus dem backrohr...
und sagt jetzt bloß nicht wieder, die heimische spitzengastronomie wär eh so regional. hab gerade wieder ein paar bestelllisten von ein paar schicki-köchen zugefaxt gekriegt. da sage ich nur: es lebe der ganz normale globalisierungswahnsinn. und natürlich sind die die vorbilder der "jungen wilden", also der nächsten kochgeneration, über die ich jetzt lieber nichts schreiben will - weil dann würds ehrenrührig werden ;-))
@patzig: lampert in die nationale ecke zu rücken ist zwar lustig, aber gaaaanz weit daneben.
ps: aaaaah - es tut irre gut, mal so richtig dampf abzulassen ;-)))
-ad-, 20.06.07 @ 15:24
weil woanders anders ist
Da punktet auch die dicke Süditalienerin. Urlaubsliebe nennt man das. Aber bitte nicht daheim. Da sind Plastikstühle grindig. Und das Nahe nix wert.
Feine Differenzierung: Nicht jedes Erlebnis macht warm ums Herz. Auch ein großes nicht. Aber: Jedes Warm ums Herz ist ein Erlebnis.
Nur weil über Schaumsupperln gesprochen wird - und die gibts ja nun auch (schon immer, möcht ich sagen) in regionaler Färbung, muss das nicht mit Fanatismus gleichgesetzt werden. Ich bin fanatisch in punkto Wangerl. Wegen der Konsistenz. Nicht erst seit es sie überall gibt: seit ich vor 20 Jahren bei der Sissy Sonnleitner in der Küche sein durfte und ein Rezept mitgenommen hab, bin ich das. Textursüchtig. Wenn ich drank denk, wie ich meine Gäste im Unklaren lassen musste bezüglich des Fleisches, damit sie's mir essen!
Vielleicht sollten wir über Texturen reden. Da passt dann der Schaum wieder rein.
5622, 20.06.07 @ 14:27
hatten wir schon mal, aber trotdem...
gestern mittag: ein vorstandsvorsitzender hat mich zum essen in ein salzburger nobelhobel-lokal eingeladen. wir haben auch über das thema regionalität in der küche geplaudert (war ja zwei tage lang in den sn, der lampert-vorschlag).
im super-resti freut man sich über den wahnsinnig tollen kreativen koch. man schmeckt, sekkiert die kellnerin ein bisserl (haben sie auch einen spritzigeren weißen...)
dann: plötzlich schwärmt der herr vorstandsvorsitzende von seinem schönsten esserlebnis: es war in einem familien-resti in süditalien. die produkte alle aus fünf kilometer entfernung, gekostet hats fast nix, die stühle waren aus plastik, die köchin war superdick...
jeder von euch wird beim schönsten esserlebnis ein ähnliches beispiel nennen. also frag ich mich: wenn das große esserlebnis, also jenes, das einem warm ums herz macht, regional ist - warum seid ihr dann alle so schaumsupperl-fanatisch? weils große kunst sein soll? ach was: fragt mal einen großen koch, was er unter großer kochkunst versteht.
-ad-, 20.06.07 @ 13:25
Ach ja.
Herr Bocuse als Gewährsmann. Worin liegt die Gewissheit, dass das, was er im Rückblick auf seine frühen Antriebsmotive nun erzählt, auch tatsächlich so war? Ist es denn nicht so, dass wir im zunehmenden Alter, mitsamt seinem Erkenntnisgewinn, auch zur Uminterpretation von Gewesenem greifen? Weil sich aus dem Heute heraus das Gestern anders darstellt? Oder weil wir es zur Seelenhygiene so brauchen? Oder weil es einfach fetzt? Und alles eigentlich doch ganz anders gewesen ist?
Nein nein, wär mir als Argumentationsrückhalt zu unsicher. Auch wenn der Inhalt per se nicht falsch ist. Und mir sind diese billigen Generalisierungen vom Übel der Spitzenküche auch zu simpel. Für Garnelen aus Acquakultur genügt es, in ein Gasthaus zu gehen. In der Provinz.
Die Forderung nach mehr Regionalität ist doch nicht neu. Eine ganze Gastro-Bewegung in den Achtzigern nannte sich danach. Da entstand doch erst das Bewusstsein für qualitätsvolle heimische Produkte, weswegen wir jetzt auf so viele solche Produzenten zurückgreifen können! Ich kann auch nicht sehen, dass wir uns hier am Thema vorbeischwindeln. Ein oktroyiertes "Kochen im Umkreis von 80 km" kann schon deshalb nicht funktionieren, wird im Showeffekt verharren, weil nur Gewachsenes, aus Überzeugung Verfolgtes von Dauerhaftigkeit ist. So, wie die Idee dargebracht wird, scheint sie Aktionismus mit Marktinteressen.
Allerdings: Wir, die wir essen gehen, haben sehr wohl Anteil am Weltverbessern. Mit der Wahl dessen, was wir essen. Und nehm ich jetzt ein Spitzenlokal, dann hab ich zum Glück die Wahl. Auch dort. Und nehm nicht den Hummer. Sondern schau mir lieber an, was aus wirklich guten Produkten des wirklich guten Heimatlandes wirklich Gutes und Spannendes herauszuholen ist. Deshalb vertrau ich mich ja der Topgastronomie an: um der Spannung willen. Den Hummer, den lass ich mir allerdings von einem Koch meines Vertrauens gerne bereiten. Im legeren Fusionbeisl. Wenn Festtag ist ;-)

--- 04.09.18 @ 20:56
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