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Christoph Wagner's Weblog

04.12.05 @ 14:10

Nichts gegen Cevapcici

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„Habt ihr denn hier keine Cevapcici?”

Als ich diese Frage zuletzt in Kroatien stellte, erntete ich zunächst betretenes Schweigen. Dann nahm mich mein Gastgeber beiseite und flüsterte mir zu: „Ich denke, ich schulde ich Ihnen noch eine kurze Einführung in die politischen Grundlagen unseres Landes.”

Keine Bange: Die nun folgende Schilderung der Tito-Epoche und der anschließenden Balkankriege erspare ich Ihnen ebenso wie die ausführliche Typologie der einzelnen Balkanvölker. Ich gebe nur die Conclusio des langen Vortrags an Sie weiter, die da lautet: „Cevapcici sind kein kroatisches, sondern ein serbisches Gericht. Kroatische Küche ist auch nicht scharf, und wenn wir grillen, so grillen wir nur unter der Peka.”

Ich nahm dies zur Kenntnis, auch wenn ich mich unzähliger recht heftig gewürzter Grillspezialitäten entsinne, die ich in Kroatien, als es noch Teil Jugoslawiens war, gegessen habe, und keineswegs alle davon waren jener unter Asche vergrabenen Tonglocke namens Peka entsprungen. Aus den Worten meines Gegenübers schien mir vielmehr die Überzeugung zu sprechen, dass politische Veränderungen notwendiger Weise auch kulturelle und damit auch kulinarische nach sich ziehen müssten.

Beispiele für die Richtigkeit dieser These gibt es mehr als genug. Wäre Ungarn nicht für Jahrhunderte unter osmanische Herrschaft gefallen, würde es heute in ganz Ungarn, aber auch in Wien keinen Strudel geben. Hätte Katharina von Medici nicht an den Pariser Königshof geheiratet, so wäre möglicherweise Florenz die Welthauptstadt der „Grande Cuisine” geworden, die in diesem Fall wohl „Cucina grande” hieße. Und um ein exotisches Beispiel zu wählen: Die Japaner wüssten, wären sie nicht von portugiesischen Eroberern und Missionaren bedrängt worden, bis heute nicht, was Tempura sind.

Der Einfluss politischer Veränderungen auf die Küche ist demnach ebenso unbestritten wie die Sehnsucht nahezu jedes Landes, eine unverwechselbare Nationalküche oder zumindest bestimmte Nationalgerichte ihr eigen zu nennen.
Allein, welcher Art sind solche „Nationalgerichte”? Zumeist sind sie - man denke nur an das maurisch-byzantinisch-italienische Wiener Schnitzel - durchaus multikultureller Natur. Das ungarische Gulyás wäre ohne den aus Amerika stammenden Paprika (den es erst um 1800 kennen lernte) in seiner heutigen Form ebenso undenkbar wie die Pizza und die Sauce Bolognese ohne die ebenfalls aus Übersee stammenden und Jahrhunderte lang für giftige Zierpflanzen gehaltenen Tomaten. Das französische Bifteck frite ist, ebenso wie das Bistecca alla fiorentina einer der wahrlich raren kulinarischen Anglizismen, die sich in romanischen Küchen je breit machten. Und als der britische Ernährungswissenschaftler Maurice Bacon im Daily Mirror die Urheberschaft seiner Landsleute auf die Lasagne unter Berufung auf ein «Loseyns» genanntes Rezept aus dem Jahr 1390 reklamierte, konterten die Italiener mit einem zwanzig Jahre früher erschienen Bericht über die Pest in Florenz, in dem es hieß: „Die Toten werden wie Lasagne in den Gräbern geschichtet.”

Dass sich Nationalbewusstsein nicht nur in Vaterlandsliebe, sondern auch im Stolz auf Mutters Küche äußert, mag ein Teil der Wahrheit sein. Der andere Teil der Wahrheit besteht in der absoluten Unmöglichkeit, Küchendemarkationslinien wie nationalstaatliche Grenzen zu ziehen. Fazit: Kochrezepte werden niemals eine Nation stiften, sondern immer nur einer bestimmten Region Identität verleihen, dieselbe aber auch weit über die Region hinaus vermitteln können.

Genau in diesem Bewusstsein habe ich erst unlängst mitten in Kroatien wieder einmal ganz ausgezeichnete serbische Cevapcici gegessen.

30 Kommentare | Kommentar abgeben

PICCOLO, 06.12.05 @ 18:54

Herr minimalist: Sie haben natürlich Recht..
Ich hab´s falsch ausgedrückt:
Nie gab es mehr gute Kochbücher aus aller Herren Länder. Aber : Ich war gestern auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für meine Lehrbuben und stellte fest, dass in Salzburger Buchläden, die ich aufsuchte an vorderster Front, lauter personalisierte Star - Kochbücher standen, die bei Hobbyköchen hoch im Kurs zu stehen scheinen. J.Oliver, Ferran Adriá, Starkoch Mörwalds Schwarten usw..
Ich fand dann doch was passendes, es war aber in einem hohen Regal. So etwas kauft fast niemand, meinte die Verkäuferin, der Band kostet über 100 Euro. Und zum herumblättern ist es zu schade… Ich konnte dann doch ein paar Bände bestellen, dauert aber wieder etwas bis sie da sind.

Jetzt schauen die Leute bei den Rohstoffen schon aufs Billigste, dann soll das Kochbuch scheinbar dazu passen. Schöne Bescherung.

Für den Ärger den ich bereitet habe gibt’s hier ein berühmtes Rezept vom „Wiener Milchscheberl”: ist eine einfache Mehlspeis die im Advent viel Freude machen kann….

Wiener Milchscheberl

280g Butter werden eine halbe Stunde gerührt, sodann werden 6 ganze Eier 70 g Zucker und 140 g fein gesiebtes Mehl darunter gerührt, die Masse in eine mit Butter ausgestrichene Stürzform bis zur hälfte gefüllt und in einem mittelheißen Ofen fertig gebacken. Man nimmt hierauf das Scheberl aus dem Ofen, sicht mit einem kleinen Messer mehrere Öffnungen hinein und füllt 750g kalte Milch darauf. Nach einiger Zeit, wenn die Milch eingedrungen ist wird das auffüllen mit ebenso viel warmer, mit Vanille und Zucker gesüßter Milch wiederholt und diejenige die nicht mehr eindringt abgeseiht. Beim Anrichten wird der Scheberl in eine Schale gestürzt und mit Vanilliemilch daruntergegossen und serviert. Bischen Zimt und Weihrauch und ein Flascherl..

Gutes Gelingen!

Minimalist, 06.12.05 @ 18:20

Spezialisierung
"Wenn man den gegenwärtigen Buchmarkt betrachtet verschwinden die in Buchform gelistete Nationalküchen mehr und mehr"? piccolo, welche Buchläden besuchen Sie?

Der wachsende Wettbewerb am Buchmarkt und zwischen den Kommunikationsmitteln führt zur Spezialisierung. Heute stehen im guten Buchhandel hunderte informative, pfiffige Kochbücher (und natürlich ein Haufen folkloristischer Blödsinn) zu speziellen Küchen: China, Japan, Korea, Vietnam, Thailand, Indonesien, Malaisien, Indien, Marokko, Ägypten, Karibik und ... alle Europäischen Länder, aber auch noch genauer, Schanghai, Kanton, Singapour, Bali, Hawaii, Gascogne, Katalonien, Friaul, Brüssel, MeckPomm, Friesland, Cottswolds, Neuengland, Istrien, Ionien, Tessin, Pannonien,.....
(und wenn unser Bürgermeister aus seinem reichhaltigen Wissen und Rezept-Schätzen etwas kompilieren möchte: Speising?!)

profiler, und andere Kochbuchsammler, sitze ich einfach dem Marketingschmäh auf?

PICCOLO, 06.12.05 @ 10:26

Copyrights -
Wenn man den gegenwärtigen Buchmarkt betrachtet verschwinden die in Buchform gelistete Nationalküchen mehr und mehr. Sie werden ersetzt von prollig - protzigen "Bignames - Cuisiniers" die sich kulinarische Unsterblichkeit erhoffen. Diese oft plumpen Plagiate sind zudem ein Sammelsurium von Ideen aus vergangenen Epochen und entlegendsten Erdgegenden, nur zum Zweck vordergründiger Effekthascherei .
Der Name auf dem Kochbuch - war früher nur das Zugeständnis an geerbte Traditionen, man stand in Demut vor der gebündelten Kunst eines Volkes Nahrung zu bereiten.(Vorwörter einiger großer Kochbücher lesen.)

Es waren daher auch die Traditionen in weiten Bevölkerungskreisen bekannt und jeder Haushalt versuchte sich an den nationalen Essgewohnheiten. Heute hat man durch den Mangel an verständlichen "Breitenkochbüchern" eine Konglomeratsküche zustande gebracht, die vielleicht dem Welthandel dient.
Da lobe ich mir Pleskavica und Cevapcici oder den Döner - den sich mangelnder "kultivierung" jetzt schon kaum mehr jemand selber herstellen kann, getraut. Man hört nur immer von der Verwahrlosung des "Faschierten" in den Märkten..(Spiegel, letzte Ausgabe - Interview mit Herrn Lafer)

ChristophWagner, 06.12.05 @ 01:53

Copyrights
Es ist zwar sehr ehrend, wenn man mir die Urheberschaft des Begriffes „Wiener Küche" zuschreibt, allein: Die ist nun wirklich viel älter. Spätestens seit Anna Dorn (geb. Pellet). der Autorin des 1827 in Wien erschienenen, stilbildenden Grundlagenwerks „Neuestes Universal- oder: Großes Wiener-Kochbuch", ist der (auch viel früher schon vorkommende) Begriff einer Wiener Stadtküche auch in einem eigenen Werk codifiziert. (Die These, dass Wien die einzige Stadt der Welt sei, nach der eine Küche benannt ist, wird übrigens alleine schon durch die Lyonnaiser Küche widerlegt. Es gibt aber auch eine Cucina triestina, eine cucina fiorentina, und dass eines der ältesten und bedeutendsten Kochbücher der Welt „Le ménagier de Paris" heißt, wollen wir vor lauter Patriotismus auch nicht vergessen.)

Der Satz „Jeder Döner macht Wien schöner" stammt hingegen mitsamt der in derselben (zunächst im „salto" und später modifiziert im „zeit.schritt" veröffentlichten Arbeit geäußerten) These, dass der Döner es dereinst zum typischen Wiener Gericht bringen würde, definitiv von mir.

PICCOLO, 05.12.05 @ 22:38

Wiener Küche - Eine meiner Theorien..
Sie ist nicht in Wien entstanden, das Märchen stammt von Tourismusakkumulatoren. Stellt Euch einmal vor, eine habsburgische Prinzessin heiratet nach Paris. Was heute kaum mehr Unterschiede in der Nahrung erkennen lässt war dazumal eine völlig neue Welt. Nicht nur dass alles anders schmeckte, man hatte auch differenzierende Bearbeitungsmethoden. Wie machten die das in Wien? Es kamen Zubereitungmethoden mit. So entstand in einigen Herrenhäusern von Paris die „Wiener Küche”. Unter Feinschmeckern war das schnell ein Begriff. Vor allem hatte die „Wiener Küche” durch ihre „mehlig - molligen” Beschaffenheiten bald einen Ruf der „Nahrhaftigkeit” gegenüber den „trockenen” Bratspießküchen. "Knetelrezepte" Queunelles - Knödel wurden in den Straßenküchen vieler Städte durch Österreicher (Wiener ) berühmt.

Ein großer Förderer der Wiener Küche war der Wiener Kongress. Kein geringerer als Antonin Careme widmete unserer Hauptstadt seine

„ Wiener Schokoladenmasse” :

Man rühre 120 Gramm frische Butter mit ebensoviel fein gestoßenen Zucker und zwölf Eidottern recht schaumig, sodann werden 120 Gramm fein geriebene Mandeln und 140 Gramm aufgelöste Vanilleschokolade gut verrührt und nach und nach in die Masse gerührt. Zum Schluss zieht man noch den geschlagenen Schnee von 12 Eiweißen mit 50 Gramm fein gesiebten Mehl darunter.

Ob das nicht der Vorläufer der Sachertorte war? Wenn man bedenkt dass Careme vielleicht sogar in jenem Hause mit der Gefolgschaft Talleyrands gewohnt hat..

Oder der einst in ganz Europa berühmte Wiener Brotkuchen, der in keinem Kochbuch des 19. Jhdts. fehlen durfte?

Beste Grüße

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